Warum? Warum nur bekam eigentlich jeder, selbst Leute wie Aurora und Levin, die eindeutig irgendein Problem hatten, ihr Leben auf die Reihe und nur er scheiterte regelmäßig daran? Lag es an ihm oder daran, dass die Welt ihn einfach zu hassen schien?
Kay ballte die Hände zu Fäusten. "Kennst du diese Momente, in denen man einen starken Drang verspürt, einfach irgendwas kaputt zu machen? Einfach was möglichst Zerbrechliches an die Wand werfen, bis nur noch Scherben übrig sind!"

Aya sah ihn einen Augenblick an, dann verschwand sie richtung küche. Kurz darauf kam sie mit zwei großen Keramiktellern zurück. Auffordernd hielt sie ihm einen davon entgegen und grinste.
"Die Scherben können wir später wegkehren. Das merkt niemand."

Verblüfft starrte Kay sie einen Moment lang an. Dann grinste er zustimmend und nahm ihr den einen Teller ab. Mit Wucht donnerte er ihn gegen die freie Wand. Der Teller prallte ab und zerbarst mit einem lauten Knall in tausend Teile. "Du glaubst ja gar nicht, wie gut das tut."

"Willst du den auch noch haben?" Aya hielt ihm den anderen Teller ebenfalls entgegen und lachte. Die hellen Scherben tanzten über den Holzboden. Das Poltern und Splittern war bestimmt weithin zuhören gewesen, aber wen scherte es? In den Schulregeln war das Zerschmettern von Geschirr nirgendwo erwähnt. Begeistert würde zwar niemand sein, aber verboten war es nicht. Aya bückte sich nach einer Scherbe und hob sie auf. Ein Blumenmuster zog sich über das weiße Porzellan. Sie strich mit dem Finger über die glatte Oberfläche, dann steckte sie es in die Tasche ihres Kleides.

"Je mehr desto besser.", sagte Kay grimmig. Er nahm Aya den Teller ab, sorgfältig darauf bedacht sie nicht zu berühren, und schleuderte ihn wie eine Frisbee gegen die Wand. "In der Küche war eh zu viel Geschirr."
Er musste nun ebenfalls lachen. "So was hab ich nicht mehr seit der Hochzeit meiner Cousine gemacht."

"Vielleicht haben wir noch ein paar Gläser über.", erwiderte Aya lachend. "Die klirren schöner."
Lächelnd beobachtete sie, wie Kay den Teller wie einen frisbee durch die Luft warf; das Blumenmuster verschwamm zu bunten Schlieren, bevor das Geschirrstück an der Wand zerbarst. Sie freute sich, dass es ihm spaß zu machen schien.

Kay nickte nur. "Das war nötig.", sagte er. "Jetzt noch ein Boxsack und ich bin glücklich." Er sah aus dem Fenster, an dem immer noch Regentropfen herabrannen.

Aya zuckte mit den Schultern. "Ich fürchte, wir haben keine Boxsäcke in der Küche. Aber so etwas wäre an dieser Schule vielleicht wirklich von Nutzen... zur Abreaktion." Sie begann ernsthaft über diesen Vorschlag nachzudenken. Vielleicht sollte sie mit einer Anfrage zur Schulleitung gehen... Viele ihrer Mitschüler litten unter ihrer Fähigkeit. Waren verbittert, oder wütend. Womöglich würde auch eine Art Kampfsport helfen? Sie lächelte über sich selbst.

Kay grinste. "Fürs Erste reichen auch die Teller. Und zur Not jag ich nachher noch ein paar Glühbirnen in die Luft." Sein Blick wurde schnell wieder ernst. Sowas würde auf dem Ball schneller passieren, als ihm lieb war.

"Wenn es das auch tut." Aya bemerkte, dass Kay wieder ernst wurde, sagte jedoch wie immer nichts dazu. Sie wollte niemanden drängen. Summend holte sie einen Besen aus dem Schrank und begann die Scherben zusammenzukehren. Hoffentlich waren die Splitter nicht allzu klein; diese würde sie schwerlich mit dem Besen entfernen können. Womöglich hatten sie irgendwo noch einen Handfeger...

Kay wollte nicht, dass Aya allein seinen Müll wegräumen musste und sammelte ebenfalls mit der Hand ein paar größere Scherben auf. "Haben die hier einen Staubsauger?"

"Ich weiß es nicht. Ich habe noch keinen entdeckt." Aya hob vorsichtig ein paar Scherben auf und warf sie in den Mülleimer. So transportierte sie langsam den ganzen Haufen. "Aber vielleicht sollten wir nach einem suchen... Ich will nicht, das irgendjemand in die übriggebliebenen Scherben tritt. Das kann höllisch wehtun."

"Ich such dir einen.", sagte Kay und stand auf. Nach kurzer Zeit kam er zurück mit einem Handstaubsauger in der Hand. "Der war in einer Abstellkammer." Er zögerte. "Würdest du...? Ich meine, ich würdest ja selbst saugen, aber angeschaltene elektrische Geräte neigen dazu einen Kurzschluss zu bekommen, wenn ich im Raum bin..." Kaum zu glauben, aber es war ihm peinlich.

Ayannah lächelte ihm kurz beruhigend zu, dann nahm sie den Staubsauger. "Ja, klar." Etwas unbeholfen stand sie da.
"Musst du dann jetzt... raus?", fragte sie dann. "Damit ich saugen kann?"

Kay nickte verlegen. "Ich laufe einfach eine Runde um den Block. Null problemo..." Ohne Aya noch einmal anzusehen verließ er den Raum. Kaum zu glauben, dass ihm so etwas noch peinlich war.

Aya sah ihm kurz nach, dann machte sie sich auf die Suche nach einer Steckdose. Das gestaltete sich als etwas schwierig, doch schließlich war sie erfolgreich und der kleine Motor heulte auf. Zügig saugte Aya einmal über die Ecke, in der die Scherben gelegen hatten und kümmerte sich zur Sicherheit auch um den umliegenden Bereich. Dann schaltete sie das Gerät wieder aus.
"Fertig!", rief sie zum Fenster hinaus und hoffte, das Kay sie hörte.

Ayannahs Handy klingelte.

Hey Aya,
bin gerade angekommen. Sehen wir uns?
XXX
Hope

"Sicher?" Kay grinste breit und kanm wieder zurück. Man merkte nicht, wie ernst ihm die Frage war. Er betrachtete den Staubsauger, als könne das kleine Gerät ihm gleich an die Gurgel springen und zog den Stecker.

Überrascht hielt Aya mitten in der Bewegung inne und fischte ihr Handy aus der Tasche ihres Kleides. Klaviertöne füllten das Zimmer, bevor sie die Tastensperre aufhob. Eine SMS.
Sie lächelte. Hope war angekommen! Ihre Finger flogen über die Tasten, als sie eine Antwort tippte.

Hey Hope!
Wo genau bist du?

Dann wandte sie sich wieder Kay zu und zog kurz an dem Kabel des Staubsaugers, welches sich dann von selbst aufrollte. "Ich denke schon."

"Oh. Oh." Kays Gesicht nahm plötzlich eine grünliche Farbe an. "Mach das Handy ganz schnell aus, bitte.", sagte er hastig. Wie hypnotisiert starrte er darauf. Er wusste, was gleich passieren würde und dass er es trotzdem nicht verhindern konnte, machte es umso bitterer. Zwei Handys innerhalb von zwei Tagen... keine schlechte Quote.

"Oh!", stieß Aya hervor und riss ihr Handy hastig wieder hervor. Ihre Finger flitzten erneut über die Tasten, dann drückte sie eilig den Aus-Knopf. Gerade noch rechtzeitig. Mit einem dumpfen Ton erlosch das Licht des Displays.
"Das ist jetzt schwierig.", meinte sie dann. "Mein Cousin ist gerade angekommen. Er kennt sich nicht aus und ich weiß nicht wo er ist..."

"Ich geh einfach raus.", grummelte Kay gereizt. "Dann kannst du in Ruhe schreiben." Er wandte sich zum Gehen. Wie schön die Zeiten doch gewesen waren, als er noch ein normales Leben hatte führen können.

"Und ich komme mit.", meinte Aya entschlossen. "Los Kay - wir gehen jetzt Hope suchen." Sie dachte kurz nach. Wo kam so gut wie jeder Schüler als erstes hin? "Lass uns zum Parkplatz gehen." Sie grinste Kay an. Sie würde es jetzt ganz bestimmt nicht zu lassen, dass er sich selber wieder so fertig machte. Sie machte ihm ja überhaupt keine Vorwürfe.

"Du bist unverbesserlich, hat dir das schon mal jemand gesagt?", beschwerte Kay sich. Seltsamerweise bekam er wieder etwas bessere Laune. "Wer ist dein Cousin überhaupt?"

"Ich weiß.", grinte Aya.
"Mein Cousin?", fuhr sie dann fröhlich fort. "Hope, 14 Jahre jung, und ab heute auf dieser Schule." Sie lief zur Tür hinüber. "Kommst du jetzt mit?"