cf: Rosengärten

Entkräftet erreichte Aurora den Wohnblock. Es roch leicht staubig und muffig hier. Das letzte Mal war sie vor einer Woche hier gewesen. Vor einer Woche schien alles noch gut zu werden. Sie hatte Levin. Aber jetzt war er tot. Ihr Blick fiel auf seine Zimmertür. Natürlich war sie verschlossen. SOllte sie einen Blick hineinwagen? Aber was versprach sie sich davon? Der Schmerz würde wieder kommen. Ihre Seele würde nur noch mehr zersplittern. Sie war bereits ein gebrochener Mensch, ein gebrochenes Wesen.
Aurora zwang sich dazu, in ihr Zimmer zu gehen. Auch hier hatte sich nichts verändert. Es war alles, wie beim alten. Mechanisch wie ein Roboter zog sie sich frische Sachen aus dem Schrank. Sie musste ja schon stinken und unbedingt gepflegt sah sie auch nicht mehr aus. Im Bad hingen bestimmt weiche Handtücher, denn hier hatte sie keins. Mit langsamen Schritten verließ sie wieder ihr Zimmer, ging zum Bad. Jemand duschte bereits. Da hatte wohl jemand die gleiche Idee, wie sie gehabt. "Beeil dich mal da drinnen!" rief sie energisch. War es Kay oder Ayannah? Einer von den beiden musste es ja sein. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Geduldig lehnte sie sich an die Wand, schaute nach oben an die Decke.

Er musste bestimmt schon eine Stunde hier stehen. Doch statt unter der heißen Dusche ruhiger zu werden, verkrampfte sich Kay nur immer mehr. Was hast du getan? Er konnte es drehen und wenden, wie er wollte, doch egal von welchem Standpunkt aus er die Ereignisse der gestrigen Nacht betrachtete, sie blieben so furchtbar, wie er sie in Erinnerung hatte. Er war betrunken gewesen. Das ist keine Entschuldigung. Was hast du getan?
Schließlich riss ihn eine Stimme aus seinen Gedanken. "Beeil dich!" Aurora?
Er stellte das Wasser ab. Das Bad war voller Dampfschwaden, die Luft unangenehm stickig. Er nahm sich ein Handtuch und trocknete sich ab. Seine alten Klamotten waren so verschwitzt und dreckig, dass er sie gar nicht erst wieder anzog. Stattdessen wickelte er sich das Handtuch um die Hüften. Selbst auf seiner Brust konnte man nun die Elektrizität sehen, die unangenehm kribbelte, wenn sie mit Wasser in Berührung kam. Lieber wäre er jetzt ungestört gewesen.
Er öffnete die Tür, die nach innen aufging, und entdeckte Aurora auf dem Flur. Sie lehnte an der Wand gegenüber der Tür. "Etwas Abstand... wäre gut.", sagte er und bemühte sich sehr um einen einigermaßen freundlichen Tonfall. Auch Wasserdampf bestand letzendlich aus Wasser und er wollte nicht riskieren, dass noch mehr "Unfälle" passierten. Davon hatte er für sein Leben genug gehabt.
"Ich weiß nicht, inwieweit der Dampf Strom leitet.", fügte er als Erklärung hinzu. Er hatte Angst, dass Aurora sonst seine Anweisung nicht befolgte. Seine Strategie, andere durch einen aggressiven Umgangston abzuschrecken hatte ja nie sonderlich gut funktioniert....

Wie lange dauerte das denn noch? Sie stand hier bestimmt schon 10 Minuten herum und wartete. Gerade wollte Aurora laut gegen die Tür schlagen, als sie sich öffnete und Kay nur mit einem Handtuch bekleidet hinaus trat. Augenblicklich wich sie etwas zurück, zur Seite, und machte ihm Platz. Schließlich wollte sie nicht mit einem seiner tödlichen Blitze in Berührung kommen.
Und, moment. War Kay etwa freundlich? Erstaunt schaute sie ihn an, ihre Augen wurden größer. "So freundlich?" fragte sie ihn ohne Spott in der Stimme zu haben. Es war eine einfache Feststellung und sie rang sich sogar ein vorsichtiges Lächeln ab und nicht ganz so unfreundlich dazustehen und ihn anzuglotzen.
Auf seine Worte hin zuckte sie nur mit der Schulter. "Ich werde es ja sehen." erwiderte sie nur und trat dann ohne auf eine Antwort zu warten in das warme BAd. Der heiße Dampf schlug ihr entgegen und Aurora verschloss die Tür sorgfältig. Einmal drehte sie den Schlüssel um und legte ihre sauberen Klamotten auf den kleinen Schrank, entledigte sich dann ihrer Klamotten und stieg in die Dusche. Leise seufzte sie, als warmes Wasser auf ihre geschundene Haut traf und sie säuberte. augenblicklich entspannte sie sich. Wasser hatte wirklich etwas befreiendes an sich. Das bemerkte sie jedes Mal. Sorgfälltig seifzte sie sich ein und wusch sich den Schaum von der Haut. Auch wusch sie ordentlich ihre Haare und fühlte sich nun eindeutig sauberer als vorher. während des Duschens hatte sie versucht, keinen Gedanken an die letzten Tage zu verschwenden. Und tatsächlich. Es hatte wirklich geklappt. Einzig und alleine hatte sie sich auf das Gefühl konzentriert, wenn warmes Wasser auf ihre Haut traf. Sorgfälltig trocknete sie sich mit dem vorgewärmten, weichen Handtuch an und schlüpfte in ihre sauberen Sachen. Die schmutzigen würde sie später waschen. Dann öffnete sie die tür und trat frisch geduscht wieder heraus.

Kay ließ ihre erste Bemerkung unkommentiert. Er war bereits gestern freundlich gewesen, aber offensichtlich nicht so freundlich, dass sie es registriert hätte.
Er schnaubte, als er ihre nächsten Worte hörte. "Du bist lustig."
Dann entfernte er sich schnell ein paar Schritte, damit sie ins Bad gehen konnte. "Kann nicht versprechen, dass ich dir viel heißes Wasser übriggelassen habe.", rief er ihr hinterher. Er ging in sein Zimmer und zog sich frische Kleidung an. Er beschloss, dass es kalt genug für ein langärmeliges Sweat-Shirt und lange Jeans war. Nicht zu vergessen die obligatorischen Handschuhe. Früher war er manchmal sogar im Winter kurzärmlig herumgerannt. Jetzt tat er dies nur noch, wenn es sich nicht vermeiden ließ, weil es einfach zu warm war. Und wenn er dazu noch einen seiner gut gelaunten Tage hatte.
Fertig angezogen, rubbelte er sich die Haare kurz trocken, hängte das Handtuch über die Schranktür und ging zum Essen.

Als Aurora aus dem Bad trat, war Kay bereits verschwunden. Die Uhr schlug zwölf und bestimmt gab es essen. Hunger hatte sie aber nicht im geringsten. Ihre roten Haare hingen ihr nass über die Schulter fast bis zur Taille und sie trug sie offen, damit sie besser trockneten. Aurora wusste, dass sie nicht in den Wald durfte und trotzdem wollte sie. Sie musste einfach an jene Stelle zurückgehen.

tbc: Parkplatz

Fast zwei Tage hatte sie durchgeschlafen. Viel waren in den letzten zwei Wochen passiert. Zuviel. Der Schlaf hatte dem Mädchen gut getan, wenn auch nicht die Albträume und die Schmerzen genommen, den tiefen Kummer. Aurora war mittlerweile aufgewacht und saß am Fenster auf dem recht breiten Fensterbrett. Dort hatte sie sich eine kleine Sitzecke eingerichtet. Nur zu gerne starrte sie in den strahlend blauen Himmel, der sich über ihr erstreckte. Ob Levin sie sah? Ob er wusste, wie tief ihr Kummer, ihre Sehnsucht, nach ihm war? Wie lange sie wohl ihm noch nachtrauern würde? Wie lange es wohl dauern würde bis sie über ihn hinweg war? Würde sie es überhaupt je? Leise seufzte die Rothaarige.
Und den verdammten Wachdienst hatte das Mädchen auch nicht bekommen. Darren hatte gemeint, dass sie noch zu schwach war, zu labil. Als wenn sie das stören würde. Aurora war stark, stärker als manch anderer. Aber genau schwach. Zu schwach. Hunger hatte sie keinen, wie seit langem nicht mehr. Sie aß nur, weil sie nicht umkippen wollte und sie wollte doch noch diesen Wachdienst bekommen. Deswegen aß sie.

Es war noch früh am Morgen, doch erste warme Sonnenstrahlen versprachen einen schönen Tag.
Penny huschte rasch über den Weg zwischen den Wohnblöcken, bis sie am Wohnblock 1 ankam. Sie trat ein ohne anzuklopfen- am Ende machte ihr noch Kay die Tür auf, so unwahrscheinlich das auch schien, sie wollte das Risiko nicht eingehen.
Die Hyade zwang sich an Kays Tür vorbei zu gehen, sie steuerte stattdessen Auroras Zimmer an.
Sie machte sich Sorgen um ihre Freundin, die sie seit der Beerdigung nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Aurora war ohnehin schon sehr selbstzerstörerisch veranlagt, Levins Tod hatte dies sicher nicht verbessert.
In der Hand hielt Penny eine Kanne mit heißer Schokolade, um ihr Handgelenk baumelte ein Korb mit Tassen und leichtem Gebäck. Mission Aurora begann.
Penny hob die freie Hand und klopfte an, bevor sie die Klinke herunterdrückte und in den Raum hinein spähte. Ihr Herz zog sich zusammen, als sie Aurora auf der Fensterbank sitzen sah. Das Mädchen starrte aus dem Fenster und schien sie gar nicht recht wahrzunehmen.
"Hallo Aurora", begrüßte sie die Rothaarige, trat ein und schloss leise die Türe hinter sich.
"Ich habe dir etwas mitgebracht", sie hob den Korb und die Kanne hoch und wartete ab.

Langsam schloss Aurora ihre Augen und ließ Levins Gesicht vor ihrem inneren Auge erscheinen. Wie schön er doch war mit seinen langen, blonden Haaren und den dunkelblauen Augen. Wie weich seine Gesichtszüge doch waren, freundlich und doch weise genug. Nicht kindlich, sondern erwachsen. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Ein trauriges Lächeln. Er würde nie wieder kommen. Nie wieder ... Schmerzhaft zog sich ihr Herz zusammen und im gleichen Atemzug öffnete sie ihre grünen Augen.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Kaum merklich zuckte die Rothaarige zusammen. Doch die türklinke wurde schon runter gedrückt und eine gute Freundin von ihr betrat das kleine Zimmer. Penelope, oder auch Penny genannt. "Hey, Penny." begrüßte sie die Hyade zögerlich und brachte ein kurzes Lächeln zu stande. Ihre Augen wurden groß als sie den Korb und die Kanne sah. Nahrung, die sie in letzter Zeit kaum zu sich genommen hatte. "Danke, das ist lieb von dir. Nur habe ich keinen Hunger." Hoffentlich hatte sie Penny jetzt nicht mit ihrer Aussage gekränkt. Das wollte sie nämlich nicht. Dazu war ihre Freundin einfach zu gut.

Penny hatte sich schon gedacht, dass Aurora sich nicht voller Freude auf das Essen stürzen würde.
Sie lächelte Aurora beruhigend an und stellte den Korb beiseite, nahm zuvor aber die Tassen herraus. "Beim Essen lasse ich noch mit mir verhandeln, aber Dehydration ist ein ernstzunehmendes Thema. Und heiße Schokolade zählt nicht als Essen." Sie goß in beide Tassen etwas von der dampfenden Flüssigkeit ein und reichte Aurora eine. "Tu's für mich. Bitte", sie sah Aurora aus großen Augen an. "In meinem Wohnblock sind alle Morgenmuffel oder auf mysteriöse Weise verschwunden und alleine Frühstücken macht einfach keinen Spaß."

Aurora hatte wirklich keinen Hunger. Und sie wusste auch nicht, woran das lag. Vielleicht der Kummer. Ganz sicher der Kummer. Schon ganz abgemagert war sie. Aber es war der Rothaarigen mittlerweile egal. Nur noch ein Fünkchen Hoffnung war in ihr. Aber nicht mehr lange und der Funken würde verglimmt sein.
Wie gut der Kakao doch roch. So lecker und sahnig. Augenblicklich fing ihr Magen an zu knurren und sie seufzte leise auf. "Okay, aber nur, weil du es bist." sagte sie lächelnd und nahm die dampfende Tasse an. gut schmeckte der Kakao als sie daran nippte und die warme Flüssigkeit breitete sich in ihrem Körper aus, wärmte das Mädchen von innen.

Aufwachen war am schlimmsten. Weil er jeden Morgen, wenn er die Augen aufschlug, einen winzigen Moment lang dachte, alles wäre in Ordnung. Und dann kam die Erinnerung zurück. Sie hinterließ stets einen schalen Geschmack in seinem Mund.
Nach einer heißen Dusche, die ihn früher stets auf Trab gebracht hatte, ging es ihm auch nicht besser. Dennoch zog er sich ein T-Shirt an - es war einfach zu warm für langärmelige Sachen. Dazu eine Jeans und die obligatorischen Handschuhe, die ihm bis über die Ellenbogen reichten.
Er ging in die Küche und schenkte sich ein Glas Wasser ein.
Von fern konnte er Stimmen hören, was vermutlich bedeutete, dass sowohl Aurora als auch Ayannah schon wach waren.

[Levins Geist]

Auf der Kante des Esstisches sitzend- sofern man das bei einem Geist als sitzen bezeichnen konnte- beobachte die Gestalt Kays Morgenritual. Sein ehemaliger Mitbewohner sah nicht gut aus, richtig fertig um genau zu sein.
Levin war sich ziemlich sicher, dass das etwas mit Penny zu tun hatte. So angespannt, wie die beiden sich vor drei Tagen, an seiner Beerdigung, verhalten hatten war es nicht zu übersehen, das etwas geschehen war. Was genau, das wusste er nicht.
Nachfragen hatten schon beim letzten Mal nur zu einer, zugebenermaßen sehr amüsanten, Konversation geführt, aber nicht zu einer wirklichen Antwort.
Aus einem der Zimmer drangen Geräusche, Stimmen. Aurora und Penny.
Einen kurzen Moment lang fühlte er sich schuldig, weil er nicht bei Aurora war, doch er schob den Gedanken beiseite. Penny kümmerte sich um sie. Außerdem wollte er nicht, dass sie sich an seine Anwesenheit gewöhnte. Er mochte gewissermaßen noch hier sein, doch er war definitiv tot. Warum er noch hier war? Seine Vermutung war: Um auf Aurora aufzupassen.
Aber dazu musste er sich ihr nicht unbedingt zeigen. Noch nicht.
Jetzt wollte er sich erstmal um Kay kümmern, der wie immer die Verköperung von Optimismus und guter Laune darstellte.
"Wenn du immer so grimmig schaust, gibt das Falten, weißt du?", sagte er, eine Augenbraue hochziehend, was als Geist einfach nicht mal halb so gut wirkte.
Durchsichtigkeit versaute einfach den Effekt. Immerhin hatte er inzwischen rausbekommen, wie er seine Kleidung verändern konnte. Er hatte nicht widerstehen können und trug nun weiße Leinenhosen und ein weißes Hemd. Schuhe trug er keine, wieso auch. Alles in allem hatte er sich gedacht, dass dieses Outfit wesentlich weniger schockierend wirken würde, als die blutigen, staubigen Fetzen, die er bei seinem Tod wirklich getragen hatte.

Penny atmete erleichtert auf, als Aurora die Tasse mit Kakao annahm und zu trinken begann. Das andere Mädchen war schon immer schlank gewesen, doch nun wirkte sie regelrecht abgemagert. Penny konnte und würde nicht zusehen wie ihre Freundin vor sich hin vegetierte.
Sie nahm einen Schluck Kakao und genoss den Geschmack der herben Schokolade vermischt mit der milden Süße von Sahne. Hmmm...
"Wie geht es dir?", fragte sie leise, sich an die Wand lehnend.

Der Kakao tat wirklich gut und erinnerte sie an schönere Momente in ihrem Leben. Manchmal glaubte Aurora, dass das Leben sie hasste. Bereits so viele Menschen hatte sie verloren. Menschen, die sie wirklich liebte ... und brauchte. Mit jedem Verschwinden verschwand auch ein Teil ihrer Seele, ihres Herzens. Und irgendwann würde sie nur noch eine leere Hülle sein. Ohne jegliche Emotionen. Das würde wohl das Aus bedeuten. Ihre Fähigkeit würde nicht mehr zu stoppen sein. Sie würde nicht mehr zu stoppen sein. Davor hatte Aurora am meisten Angst.
Penny stellte die Frage, vor der sie sich am meisten fürchtete. Wie ging es ihr? Sie wusste es selbst nicht. "Es geht mir ... gut." log sie leise, starrte auf die dunkle Flüssigkeit in der Tasse, und im gleichen atemzug begann der Kakao ein wenig zu schwappen. Aurora zitterte. Aus diesem Grund stellte das Mädchen die Tasse auf dem Fensterbrett ab und verharkte ihre Finger ineinander, um das Zittern wenigstens etwas zu verstecken beziehungsweise zu unterdrücken. "Und wie geht es dir?" fragte sie leise.

Aurora log sie an, das war ganz klar erkenntlich. Penny war schon immer gut darin gewesen, die wahren Emotionen und Gedanken anderer zu erkennen, die Zeit mit Kay hatte das nur noch verstärkt- Denk nicht an ihn, befahl sie sich. Nicht schon wieder.
Zu viele schlaflose Nächte hatte sie bereits hinter sich gebracht. Hier und jetzt ging es außerdem um Aurora. Aurora, die ihren Freund verloren hatte, Aurora, die so zerbrechlich wirkte und es doch nicht sein wollte.
"Wenn du zum Wachdienst eingeteilt werden willst, musst du besser lügen", erwiderte Penny. Es klang nicht anklagend, nur ruhig und freundlich. "Mir ging es schon mal besser. Aber ich versuche mich nicht runterziehen zu lassen."

Aurora war so eine verdammt schlechte Lügnerin. Und augenblicklich machte sich ein schlechtes Gewissen in ihr breit. Dabei meinte es Penny doch nur gut mit ihr. "Tut mir leid. Ich ..." Aurora wollte sich erklären, sich rechtfertigen. Aber was sollte sie nur sagen? Gedanklich suchte sie nach den richtigen Worten. " ... ich möchte nur, dass sich niemand Sorgen um mich macht. ich brauche kein Mitleid. Das bringt ihn auch nicht wieder zurück." Dann fügte sie noch hinzu: "Darren wird mich nie zum Wachdienst einteilen. Dazu bin ich in seinen Augen noch zu labil. Und er ist nicht dumm. Er wird, egal wie gut ich bin, meine Lügen erkennen." Leise seufzte sie und fuhr sich mit zittriger Hand durch ihr langes, lockiges, rotes Haar.
"Ich bewundere dich, Penny. Du bist immer so stark und geschafft, in jeder situation." sagte sie ehrlich und lächelte ihre gute Freundin zaghaft an. "Du gibts nie auf und bist für andere immer da. Eine gute Seele eben."

"Du brauchst dich doch nicht bei mir zu entschuldigen", meinte Penny. "Ich weiß, dass du die Sorge und das Mitleid nicht willst, aber ich kann mir da einfach nicht helfen. Du bist meine Freundin und du bist mir sehr wichtig. Ich kann nicht zu sehen, wie du dich verlierst."
Ihr Gesichtsausdruck wurde weich, als Aurora sagte, dass es 'ihn', Levin, auch nicht zurück brachte und schwankte dann zwischen Unglauben und Verlegeneheit, als Aurora sie so pries. Sie stieß sich von der Wand ab und ging auf Aurora zu, nahm sie einfach in den Arm. Nach einigen Minuten ließ sie wieder los, sah Aurora fest in die Augen. "Darren fühlt sich verantwortlich für dich und alle anderen Schüler. Er möchte nicht, dass dir etwas zustößt, weil er er zugelassen hat, dass du dich am Wachdienst beteiligst. Vielleicht kann man ja aber mit ihm reden. Eine Begleitung, eine Absicherung, dass du- Verzeihung- nichts Dummes tust."
Kurz schwieg sie, seufzte dann leise. "Und was das Andere angeht...ich fühle mich geehrt, aber du solltest mich nicht bewundern. Ich bin nicht immer stark...du hast mich doch selbst oft genug weinen sehen, um das zu wissen. Eine gute Seele? Gute Seelen schlagen niemanden-", erschrocken hielt sie inne. So verbittert, hatte sie noch nie geklungen, ihr gefiel diese Richtung gar nicht. "Verzeih mir. Ich bin im Moment ein wenig durcheinander."

Aurora schluckte hart und senkte ihren Blick. Sie wusste, was mit denjenigen passieren, die sich mit ihr anfreundeten. "Wir ... sollten keine Freunde werden. Einfach aus dem Grund, dass ich bisher alle, die mir am Herzen lagen, verloren habe. Einen weiteren Verlust ertrage ich einfach nicht." Unwillkürlich schlang sie ihre dünnen Arme um sich, um das aufsteigende Zittern aufzuhalten.
Pennys Umarmung tat so gut, gab ihr Sicherheit und das Gefühl, nicht alleine zu sein. Dabei war es falsch. Aber wie konnte sich etwas Falsches, so gut anfühlen? War es dann nicht eigentlich richtig? Trotzdem versteifte sie sich. Nicht, weil sie es nicht wollte, sondern weil sie einfach kaum gute Erfahrungen mit Berührungen gemacht hatte.
War sie wirklich schon so sehr kaputt? Sah man ihr die Schwäche wirklich so sehr an? War sie wirklich schon so sehr ein psychisches Wrack, dass man sie nicht mehr alleine lassen konnte? Das tat wirklich weh. "Ich ... weiß." gab sie zögerlich von sich und nahm wieder die warme Tasse in ihre Hand, trank etwas von dem Kakao und legte sich die Sahne von den Lippen ab.
"Weinen muss nicht immer etwas Schlechtes bedeuten. Es zeigt nur, wie sensibel du bist und dass du dich gut in andere hineinversetzen kannst, denke ich. Und manchmal muss man einfach weinen, um sich danach besser zu fühlen." Wie oft hatte sie sich in den letzten Tagen in den Schlaf geweint. Leise seufzte sie. "Warum denn immer Gewalt? und es ist doch gut, wenn du niemanden schägst. Es gibt einfach zu wenige Wesen, die wie du sind. Aber immerhin gibt es überhaupt welche, sonst wäre die Welt noch mehr verkorkst." aurora schüttelte den Kopf. "Entschuldige dich nicht. Ich glaube, das sind wir alle."

Ein Lächeln zupfte an Pennys Lippen. "Ich glaube es ist schon zu spät um Freundschaft verhindern. Leb damit, du hast mich am Hals. Wir lösen das ganz einfach: Du tust so als ob ich dir nicht am Herzen liege und wer auch immer glaubt das Recht zu haben, dir die zu nehmen, die dir nahestehen, gerät gar nicht erst in Versuchung."
Kurz lächelte sie, dann wurde sie ernst. "Ich denke du hast Recht mit dem Weinen und dem besser fühlen...was den Rest angeht, das kann ich nicht beurteilen, aber ich bezweifle, dass die Welt noch verkorkster werden kann."
Sie biss sich leicht auf die Lippe, dachte kurz darüber nach Auroras Missinterpretation ihrer Worte zum Thema Schlagen nicht zu korrigieren. Aber mit irgendjemandem musste sie darüber reden. "Das mit dem Schlagen...ich...normalerweise tue ich das nicht, ich mag keine Gewalt. Aber was ich damit meinte, war, dass ich kein gutes Wesen sein kann, da ich meine eigene Regel gebrochen habe." Penny sah Aurora leicht verzweifelt an. "Ich habe ihn geschlagen, Aurora. Kay. Und....in manchen Momenten denke ich sogar, dass er es verdient hatte. Was ist nur los mit mir?"

Aurora seufzte tief. "Ich glaube, du hast recht. Aber sowas kann ich nicht. Ich kann nicht so tun, als würde ich dich nicht leiden können." Wieder ein Seufzer. Manchmal hatte Aurora es echt schwer.
Dann legte sie ihre Stirn nachdenklich in Falten. Penny druckste rum und dann rückte sie endlich mit der Sprache raus. Und das war der Moment, in dem Aurora in schallendes Gelächter ausbrach. Sie lachte und lachte. Lachte bis ihr die Rippen weh taten. Lachte bis ihr die Tränen über das Gesicht liefen und sie sich krümmte. Es dauerte eine Weile bis sie wieder die Kontrolle über sich hatte. Jedoch gluckste sie ncoh ein wenig und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Dann wurde sie wieder ernst. "Was hat Kay getan, dass du so aus der Haut gefahren bist?" fragte sie sie nachdenklich. Kay musste schon etwas Schlimmes getan haben, dass Penny so dermaßen wütend wurde. Augenblicklich erhob sich Aurora. War bereit zu dem Jungen zu gehen und ihm einen ellenlangen Vortrag zu halten. "Wenn du denkst, dass er es verdient hat, dann hat er das sicherlich auch." meinte sie lächelnd. "Ich denke, in dem fall war deine Tat berechtigt. Und entschuldige dich ja nicht bei ihm. Hörst du?" Wie eine Mutter, die ihr Kind gerade, belehrte ... So wirkte die Rothaarige.

Penny war zunächst irritiert, als Aurora anfing zu lachen, doch das schallende Gelächter war ansteckend und nach wenigen Augenblicken begannen ihre Mundwinkel zu zucken. Richtig zu lachen fing sie jedoch nicht an, dafür war das Ganze ihr zu ernst und zu wichtig.
"Jetzt weiß ich immerhin wie man dich aufheitern kann. Vielleicht sollte ich Kay öfter schlagen, wenn man dich damit so zum Lachen bringen kann", meinte sie trocken.
Als Aurora aufhörte zu lachen und sich erhob, hob Penny rasch abwehrend die Hände. "Ich erzähl es dir nur, wenn du mir versprichst, ihm keinen Vortrag zu halten."
Nicht so wie beim letzten Mal...sie wusste genau, was Aurora dachte.
'Entschuldige dich ja nicht bei ihm'
"Ich bin mir eben nicht sicher, ich kann sowas nicht einschätzen", erwiderte sie seufzend. "Aber ich...verspreche mich nicht bei ihm zu entschuldigen. Diesmal nicht", schloss sie bestimmt.

Aurora schüttelte den Kopf. "Ich lache nicht, weil du ihn geschlagen hast. Ich lache, weil es so absurd klingt. Es passt nicht zu dir. Aber ich denke, es ist gut, dass du auch mal eine andere Seite von dir zeigst." meinte sie ehrlich und lächelte sie an.
Das Mädchen nickte. "Okay, ich verspreche es. Indianerehrenwort." Dabei nickte sie noch einmal bestätigend. Dann seufzte sie wieder. Viel zu oft in den letzten Minuten. "Sag mal ..." Sie lukte zum Korb. " ... was ist denn in dem Korb drin?" wollte sie neugierig von ihr wissen. Die Ablenkung durch Penelope tat ihr ungemein gut und ließ sie die Sorgen von den letzten Wochen vergessen.

Penny lächelte ein wenig. Das stimmte allerdings. Hätte man ihr vor wenigen Wochen erzählt, dass sie jemanden schlagen würde, dann hätte sie diese Person für verrückt gehalten.
"Es ist gut, dass ich mal meine andere Seite zeige? Die Seite, bei der ich Leute vermöble?", Penny schnaubte ungläubig, aber es klang eher amüsiert. "Das ist was Neues."
Aurora versprach ihr, dass sie Kay keine Predigt halten würde- da fiel ihr ein, sie hätte noch körperliche Verletzung miteinschließen sollen, aber dafür war es jetzt zu spät. Als ihre Freundin zu dem Korb sah, den Penny mitgebracht hatte, und neugierig nach dem Inhalt fragte, war Penny froh, dass ihr die Ablenkung, wenn auch auf unkonventionelle Weise, gelungen war.
"Gebäck", meinte sie und holte den Korb zu sich. Sie stellte ihn auf die Fensterbank, wo er gut zugänglich war. "Ich hatte gestern nichts zu tun, also habe ich Teig vorbereitet und heute Morgen ein bisschen gebacken. Butterkekse, Doppeldecker mit Erdbeermarmelade...ich glaube meine Mitbewohner werden später vor einem leeren Kühlschrank stehen", sie zuckte entschuldigend mit den Schultern. "Bedien dich."
Sie selbst nahm sich einen Schokokeks und knabberte daran, während sie sich überlegte, wie sie das am Besten erzählen sollte. "Er war...ziemlich betrunken. Ich wollte ihn zurück zum Campingplatz bringen, weil ein Sturm aufkam, aber er war so wütend und aufgebracht, er hat sich losgerissen...und angefangen wirr zu reden. Etwas von Monstern und wie er immer dachte, dass er das Monster sei, nun aber erkannt habe, dass ich das Monster bin, ihn zum Monster mache." Sie schluckte schwer. "So in dieser Art ging es weiter...und dann hat er mich plötzlich an den Schultern gepackt, mich geschüttelt. Ich wusste nicht was ich tun sollte, das war so untypisch für ihn. Jemanden berühren, so auszurasten...Ich glaube der Schalter hat sich bei mir in dem Moment umgelegt, in dem er mich küssen wollte. Mir geben was ich willl, meinte er. Da...habe ich die Kontrolle verloren." Sie sah auf, suchte Auroras Blick.

Aurora nickte. "Weißt du, warum ich das sage? Weil man dich sonst nicht für voll nimmt, dich ausnutzt und so weiter. Manchmal muss man auch Krallen zeigen." fand sie und fuhr sich durch ihre roten Haare. Eine nervöse Geste, die sie in letzter Zeit oft gemacht hatte.
Penny stellte den kleinen Picknickkorb auf das schmale Fensterbrett und öffnete den Deckel. Zum Vorschein kamen allerlei Gebäcksorten wie Schokokekse, Butterkeks eund so weiter. Mit einer Hand griff sie in den Korb und holte sich ebenfalls einen Schokokeks heraus, knabberte lustlos daran. Aurora war nicht wirklich hungrig, obwohl ihr Magen etwas anderes behauptete. Es fehlte ihr einfach die Motivation. Denn sie trauerte noch immer, dachte viel über sich und die Welt nach, war wohl auch ein wenig melancholisch.
ungläubig schaute sie Penny an. "Kay war betrunken?" Das konnte sich die Rothaarige fast nicht vorstellen. Kay wirkte nicht unbedingt, wie ein Alkoholiker. Und augenblicklich zerdrückte sie den Keks in ihrer Hand. Starr war ihr Blick, ausdruckslos. Penny ein Monster? Nein, auf keinen Fall. Penny war das gutmütigste Wesen, was es wohl auf der Welt gab. "Ich glaube ... ich verliere auch gleich die Kontrolle." knurrte sie leise. Das hätte Kay nicht tun dürfen. Niemals. Niemand war grob zu Penelope. Das Mädchen erhob sich von ihrem Platz. Ihr ganzer sitzplatz war voller Krümel. Mit hastigen Schritten ging sie zur Tür. Sie wollte Kay zur rede stellen und bergaß ganz dabei ihr Versprechen.

Penny zuckte zusammen, als Aurora den Keks in ihrer Hand zerdrückte. Gerade noch hatte sie sich darüber gefreut, dass ihre Freundin, wenn auch widerstrebend, an dem Keks geknabbert hatte, und im nächsten Moment lagen bereits nur noch Krümel auf der Fensterbank und Aurora marschierte auf die Tür zu, ihre Absichten eindeutig.
Hastig erhob sie sich, und folgte Aurora zur Tür. Sie erwischte sie gerade noch so an der Hand und hielt sie fest.
"Denk dran, was du mir versprochen hast", bat sie die Rothaarige. "Ich...verstehe es, wenn du wütend auf ihn bist, aber ihn zur Rede zu stellen würde nichts ändern. Der Schaden ist schon angerichtet. Bitte. Setz dich wieder", sie sah sie flehend an.
Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Sie hatte doch schon einmal miterlebt, wie Aurora Kay eine Predigt gehalten hatte, weil dieser sie verletzt hatte.
"Er...ist es nicht wert, dass du die Kontrolle verlierst", sagte sie leise, bittend.