cf: Parkplatz

Der junge Engel schwebte vor die Tür und landete leichtfüßig auf dem Erdboden. Es war nicht schwer gewesen, die Wohnblocks zu finden. Sicherlich wohnten hier die Schüler. Er stieß die Tür auf und trat in den Flur, ging ein paar Schritte und fand ein leeres Zimmer. Scheinbar war das gesamte kleine Gebäude nicht bewohnt. Mit dem Ellboden öffnete er auch diese Tür, trat ein und bettete die müde Leah auf das Bett, deckte sie mit der weichen Bettdecke zu. Er selbst zog sich einen Stuhl heran und setzte sich drauf. Sicher war Luc selber müde. Aber Leah hatte Vorrang und sicherlich fühlte sie sich wohler, wenn sie nicht ganz so alleine war.

Leah rannte durch einen dunkelen Wald. Sie rannte und rannte, wurde immer schneller, konnte nicht stehen bleiben. Plötztlich war sie an einer Hütte. Ein Mensch schrie. Leah bekam Panik, sie wollte ins Haus hinein, doch als sie auf die Schwelle trat, ging das Haus in Flammen aus. "Mum!", schrie Leah außer sich vor Panik, doch kein Wort kam aus ihrem Mund. "Dad!", auch hier kam kein Laut aus ihrem Mund. Urplötztlich standen große Wölfe um sie herum, die mit gefletschten zähnen auf sie zukamen. Hinter ihr brannte das Haus weiter, die Wölfe kamen auf sie zu und Leah konnte nicht fliehen. Leah wälzte sich unruhig im Schlaf herum. "Bitte.", murmelte sie leise und durch das Kopfkissen gedämpft. "Nicht..."

Lucian glaubte, dass Leah ruhig schlief. Doch da hatte er sich wohl sehr getäuscht. Es dauerte nicht lange - vielleicht 15 Minuten - da wälzte Leah sich unruhig hin und her und sprach im Schlaf. Lucian erhob sich von seinem Stuhl und setzte sich auf die Bettkante, nahm Leahs Hand behutsam in seine und strich über ihren Handrücken. Leicht beugte er sich vor, strich mit der anderen Hand beruhigend über ihre Wange und sprach leise: "Leah, es ist nur ein Traum."Ob es sie beruhigen würde, wusste er nicht. Doch tief in sich drinnen hoffte er es.

Seth kam aus dem Wald gelaufen, hinter sich finster aussehende Gestalten, die ihn in Ketten hielten. eine Kettte hing an seinem Fuß und die andere an seinem Handgelenk. "Spring Wölfchen, spring!", riefen die Gestalten und zerrten an Seths Ketten, sodass er auf den Boden fiel. "Seth!", schrie Leah laut und versuchte zu ihm zu laufen, doch vor ihr waren ja noch die Wölfe und hinter ihr das Feuer. "Seth!", schrie sie wieder. "Lasst ihn in Ruhe!" Die Gestallten zerrten an ihm und zogen ihn in den Wald, Seths Gesicht verzog sich die ganze Zeit schmerzversehrt. Leah sank auf den Boden, doch da war kein Boden mehr, sondern nur Schwärze und plötztlich spürte sie eine Hand auf ihrer Wange, die sie festhalten wollte. Die Schreie waren nur schwer zu verstehen gewesen, doch konnte man ihren Sinn erahnen. In Panik und mit Tränen in den Augen schlug Leah um sich und die Hand von ihrer Wange. Schwer atmend erwachte sie und aus dem Instinkt heraus, kauerte sie sich in die Ecke des Bettes an die Wand. "Was?", murmelte sie panisch und riss die Augen weit auf, als erwartete sie die Wölfe zu sehen und das brennende Haus. Stattdessen sah sie nur Lucian und ein Zimmer, wo keine Gefahr lauerte. Trotzdem konnte sich ihre Atmung nicht beruhigen und aus ihren Augen strömten Tränen.

Lucian wusste ja, was geschehen konnte, schlief man schlecht. Aber Leah war so ... panisch und unkontrolliert, sie schlug einfach seine Hand weg. Nachdenklich zog er seine Augenbrauen zusammen, hörte genau die Worte, die Leah rausschrie. Dann war es vorbei. Die Werwölfin erwachte aus ihrem Albtraum und drückte sich gegen die Wand. Vollkommen verschreckt und in Panik. Tränen kullerten ihre Wange hinunter, tropften auf die blütenweiße Bettdeckte. Luc wartete einen Moment, dann kroch er zu ihr aufs Bett, setzte sich neben sie und nahm sie abermals wortlos in den Arm. Immer wieder strich er ihr beruhigend über den Rücken. Selbst wenn sie wieder panisch um sich schlug, würde er sie fest in seinen Armen halten. "Leah, ich bin bei dir. Es war nur ein böser Traum. Alles wird gut. Das verspreche ich dir." flüsterte er ihr leise ins Ohr.

Warum?", wimmerte Leah, als Lucian sich neben sie setzte. "Warum nur ein Traum? Es war alles so real und..." Leah war immer noch nicht ganz bei Sinnen, denn sonst hätte sie sich längst schon wieder zusammengerissen. Sie war immer noch zu verwirrt um rational zu denken. "Es ist alles so real.. es ist real..", schluchzte sie und noch mehr Tränen strömten aus ihren Augen. "Er ist weg... er ist weg...Sie sind alle weg..."

"Nein, Leah. Es war wirklich nur ein Traum. Das verspreche ich dir." sagte er mit beruhigender, sanfter Stimme. "Wir finden Seth. Und wenn ich selbst dieses Versteck dieser Mordo Fea aufsuchen muss und deinen Bruder zurückhole. Es wird alles wieder gut, kleines Wolfsmädchen." sagte er liebevoll und strich ihr die Tränen von der Wange mit dem Handrücken.

"Sie sind weg, sie sind weg, sie sind weg..", konnte Leah nur noch murmeln und wiegte sich vor und zurück, immer noch schluchzend. Sie hörte nicht was Lucian sprach, sie war geradzu gefangen in dieser halbschläfrigen, panischen Dämmerung. "Sie sind tot. Alle sind tot." Sie schluchzte laut auf und lehnte sich erschöpft zurück, die Augen geschlossen, doch die Atmung ging immer noch schwerer. Langsam glitt sie wieder in den Schlaf, der jetzt traumlos war.

Lucian hätte zu gerne gewusst, was Leah in der Vergangenheit widerfahren war, dass sie so schlechte Dinge träumte. Und in diesem Moment schwor er sich, Leah nicht von der Seite zu weichen bis alles überstanden war. Er würde ihr persönlicher Schutzengel werden. Die Werwölfin wog sich vor und zurück, schien seine Worte gar nicht richtig aufzunehmen. Luc blieb ruhig sitzen. Erst als sie wieder einschlief, drückte er sie sanft zurück in das Bett, stieg über sie hinweg und setzte sich wieder auf den Stuhl. Ebenfalls deckte er sie zu, damit sie nicht fror. Im Zimmer war es ein wenig stickig und er öffnete das Fenster ein wenig, damit frische Luft reinkam. Der Engel nahm Leahs Hand in seine, strich behutsam über den Handrücken um ihr zu zeigen, dass jemand da war.

Leah schlief nicht lange, nur etwa 15 weitere Minuten, bis sie wieder aufwachte. Langsam regestrierte sie, dass sie in einem Bett lag und das irgendjemand ihre Hand hielt. "Was?", murmelte sie verwirrt und setzte sich auf, wobei sie ihre Hand aus Lucians zog. Seltsamerweise fühlte sie sich sehr geborgen in diesem Moment, als gehörte sie hierher, als wäre hier ihr Zuhause. "Meine Fresse habe ich schlechte geträumt.", murmelte sie dann und fuhr sich mit beiden Händen durch ihr Gesicht. "Habe ich lange geschlafen?", fragte sie dann Lucian arglos, denn sie konnte sich nicht mehr an viel errinnern und wenn sie sich an etwas erinnerte, dann hielt sie es für einen Teil des Traumes.

Es dauerte gar nicht so lange und die Werwölfin wachte auf. Sie schien ... verwirrt. "Nein, es war gerade mal eine Stunde, wenn überhaupt." sagte er und zog seine Hand zurück. Leah schien sich an nichts mehr zu erinnern und das war auch gut so. Sie würde nur wieder zuviel darüber nachdenken. Zumindest schätzte er sie so ein. Auch wollte Lucian gar nicht danach fragen, wovon sie geträumt hatte. Das würde nur Erinnerungen wieder hochholen. "Und ... bist du etwas erholter?" wollte er von ihr wissen.

Leah gähnte und streckte ihre Arme. "Joa, ich denke ich bin ziemlich erholt.", antwortete sie dann und schwang ihre Beine über den Rand des Bettes. "Und was hast du in der Zwischenzeit gemacht?", fragte sie argwöhnisch und zog das weiße Hemd zurecht. "Doch wohl nicht die ganze Zeit an der Bettkante gesessen, oder etwa doch?"

"Super." sagte Lucian.Wenigstens war sie trotz des Albtraumes erholt. Doch warum konnte sie sich nicht daran erinnern? Nicht an die Tränen, die sie geweint hatte, weil es ihr so schlecht? Aber ganz bestimmt würde er nicht derjenige sein, der ihr davon erzählen würde. "Ähm ... " stammelte er und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Lügen lag ihm nicht, also sagte er einfach die Wahrheit. "Also wenn du schon so fragst. Ja, ich saß die ganze Zeit hier an deinem Bett." ... und dich getröstet Letzteres behielt er für sich.

"Uhf...", stöhnte Leah gespielt. "Du hast mir doch wohl nicht etwa mein Händchen gehalten, als ich schlecht geträumt habe." Sie schaute auf die zerwühlten Bettlaken. "Ich schlage in schlechten Träumen gerne mal um mich und schreie... Nicht weiter schlimm.", spielte sie das ganze Leichthin herunter. Sie hatte ja nur von dem Tod ihrer Eltern geträumt... also nicht weiter schlimm, oder?

Lucia seufzte tief. "Du müsstest mich doch eigentlich soweit gut einschätzen können. Natürlich habe ich deine Hand gehalten, als du schlecht geträumt hast." Das Weinen erwähnte er lieber nicht. "Spiel das nicht so runter, Leah." sagte er leicht verärgert. "Mit Albträumen ist nicht zu spaßen. Ich weiß ja nicht, ob du an sowas glaubst, aber es ist durchaus möglich, dass so ein Traum auch eine BEdeutung hat. Etwas, was dein Unterbewusstsein dir sagen möchte. Tod zum Beispiel muss nicht immer gleich Tod bedeuten. Es kann zum Beispiel heißen, dass ein alter Lebensabschnitt vorbei ist und du nun einen neuen beginnst." erklärte er ihr.

"Papperlapapp..", spielte sie das ganze mit einer laschen Handbewegung herunter. "Bedeutung von Träumen... tzt. Das ist totaler Mist..." Sie schaute Lucian fest an, die MIene nicht verzogen. "Und in Zukunft möchte ich nicht, dass du meine Hand hälst. Ich komme sehr gut alleine mit soetwas klar, okay?" Das letzte Wort war etwas schärfer aus ihrem Mund gekommen als beabsichtigt. Im nächsten Satz betonte sie jedes Wort. "Ich glaube nicht an irgenwelche hirnrissigen Bedeutungen. Ich glaube an die Realität."

"Okay, mag sein, dass das totaler Mist ist. Jeder sieht es anders. Aber was würdest du tun, wenn jemand total panisch ist, die ganze Zeit nur weint. Würdest du dann nicht auch deren Hand nehmen, um die Person zu trösten?" Nun hatte er es doch gesagt. Dabei wollte er es doch eigentlich für sich behalten. Das war eine der seltenen Momente, wo Lucian wirklich wütend war. Okay, er flippte nicht total aus. Aber er zeigte senie Wut.

Geweint? Leah war entsetzt. Hatte Lucian gerade ernsthaft gesagt, dass sie geweint hatte? Alles andere war für Leah gerade ziemlich unwichtig. "Dann glaub doch an deine Träume", fauchte Leah wütend, mehr auf sich selbst, weil sie sich so offenbart hatte, als auf Lucian. Drohend stand sie auf und piekste Lucian mit dem Zeigefinger auf die Brust. Ihre Augen blitzten. "Aber wenn du das was eben passiert sein muss, jemals wieder erwähnst, dann werde ich dich töten." Sie trat noch einen Schritt näher. "Vierteilen, zerbrennen, jede Federn einzel ausreißen. Ist das klar?"

Hätte er doch bloß den Mund gehalten. Ihm hätte von anfang an klar sein müssen, dass Leah sehr stolz war und weinen nicht gut für sie war. Eigentlich sogar sehr schlecht war. Dabei war sowas doch nur menschlich. Besser man weinte, als dass man alles in sich hineinfraß. Plötzlich wurde seine Miene ausdruckslos. Die Freundlichkeit und Güte war weg. Er wirkte nun mehr distanziert und abweisend, als offen und herzlich. "Wie du möchtest, Leah." sagte er kalt und jedem wäre wohl bei seinen Worten eine Gänsehaut gekommen. Der Schutzengel erhob sich und verschloss die Fenster. "Soll ich dich nun ... alleine lassen?" fragte er sie zögerlich, ging bereits Richtung Tür und legte seine Hand auf die Türklinke.

Leah hätte mit der Reaktion von Lucian nicht wirklich gerechnet. Nun gut, eigentlich schon, aber das er einen Satz so kalt herausbringen konnte, war für sie neu. Es war seine Schuld gewesen, redete sich Leah ein. Er hätte sie nicht bei hrem Stolz packen dürfen und... sie hatte geweint. Beschäment war das. "Bleib.", meinte Leah und ließ sich wieder auf ihr Bett fallen, fügte dann aber doch noch ein. "Wenn du willst.", hinzu.

Sollte Lucian wirklich bleiben? Aber er hatte sich vorgenommen, ihr persönlicher Schutzengel zu sein. "Okay, ich bleibe." Und nun lächelte er wieder. Freundlich und herzlich. Mit vier langen Schritten war er wieder bei dem Holzstuhl und setzte sich wieder neben ihr Bett. Allerdings schwieg er. Was sollte er auch sagen?

Leah seufzte im Angesicht des, mal wieder, strahlendem Engels. "Hör auf so breit zu Lächeln. Soetwas macht mir Kopfschmerzen.", sagte sie dann forsch, denn sie konnte keinen anderen Ton anschlagen, wenn sie sich so ausgeliefert fühlte. Und sie fühlte sich sehr ausgeliefert, denn sie hatte tatsächlich in Gegenwart von Lucian geweint.

Lucian räusperte sich, um ein Lächeln zu unterdrücken. Trotzdem zuckten seine Mundwinkel gefährlich. "Natürlich, ich höre sofort auf." zwitscherte er und schaute Leah an. Zwar lächelte er nicht mehr, aber seine Augen strahlten fröhlich und das konnte er nun nicht abstellen. Lucian hätte ihr gerne gesagt, dass das doch nicht so schlimm war, wenn man weinte. Nur Leah hatte ihn gebeten - oder wohl eher gedroht - nicht mehr dieses Thema anzusprechen.

Leah stöhnte auf, als Lucians fröhliches Wesen sie beinahe mit einer Fröhlichkeitswelle überrollte. "Irgendwann werde ich dir einen Sack über den Kopf stecken.", bemerkte Leah frustriert und warf ein Kissen spielerisch nach Lucian, welches ihn an dem Kopf traf.

Lucian räusperte sich ein weiteres Mal, um nicht laut auflachen zu müssen. Ihm fiel es wirklich schwer, nicht grinsen oder lächeln zu dürfen. Das war eine richtige Herausforderung für ihn. Plötzlich traf ihn etwas weiches am Kopf. Instinktiv wollte er zurückweichen, nahm aber gleich den Stuhl mit sich und fiel mit einem lauten Krachen nach hinten. Mit seinen Armen konnte er sich gerade noch so abfangen, sonst wäre es noch schmerzhafter für ihn geworden. Aber nun lachte er wirklich, nahm das Kissen und warf es Leah entgegen. Nur streifte er leicht damit ihre Schulter.