"Ich habe sie gerne gespielt.", erwiderte Finja ebenso leise.
Die Worte Alyshas trafen sie. Illusionen? Wie kann man so jung sein und so hoffnungslos?
Sie sah wieder zu Aurora. Menschen getötet? Das ist ihre Last...
"Aber es haben Leute versucht dich aufzuhalten, stimmts? Zumindest versucht..."
Finja wusste nicht was sie sagen sollte.

"Versucht. Das ist das richtige Wort." Sie lachte, leise und grauenvoll.
"Aber sie haben es nicht sehr weit bei mir geschafft. Vorher sind sie an grauenvollen Schmerzen gestorben. Ich habe sie gefoltert."
Plötzlich fing sie an zu zittern. "Diese Fähigkeit ist keine Freude. Sie ist eine Last."

"Man muss lernen Lasten zu tragen", erwiderte Finja.
"Du bist hier um Kontrolle zu erlernen..und es wird dir auch gelingen"
Man muss an sich glauben

"Das sagen alle und schon am ersten Tag habe ich einen großen Fehler begannen." meinte sie leise.
Sie schämte sich für das, was sie getan hatte. Sie hatte sich mit dem "Teufel" persönlich eingelassen. Aurora bereute es zutiefst. Doch wem konnte sie davon erzählen ohne die PErson wirklich in Gefahr zu bringen?

Viv stand einige Schritte entfernt. Sie hörte die Stimmen von Alysha, Finja und Aurora und überlegte, ob sich sich an der Unterhaltung beteiligen sollte, doch sie entschied sich dagegen, auch wenn sie ahnte, das dieses Gespräch Alysha bedrückte, traurig machte... hinab zerrte. Vielleicht war es egoistisch von ihr, sich zurückzuhalten, aber sie konnte sich jetzt nicht auf fremde Leute konzentrieren. Wieso sollte sie sich auch mit ihnen unterhalten? Es würde so verlaufen, wie immer... lächerlicher Weise wurde ihr Hilfe angeboten, die ihr so oder so nichts brachte und das einzige was sie dafür bekäme, wäre Mitleid... Mitleid war das wenigste, was sie in dieser Situation haben wollte. Sie hasste es. Die Anderen bildeten sich ein, dass sie verstünden, dass sie helfen könnten, doch in Wirklichkeit war ihr Leben für sie nicht ansatzweise verständlich. Einzig und allein Alysha schien ihr momentan nahe zu stehen und sie befand sich in einer so ähnlichen Lage, dass Vivalie ihr bedingungslos vertraute. Etwas, das schon seit Jahren nicht mehr geschehen war, etwas, dass nicht Viele von sich behaupten konnten. Viv seufzte und fuhr sich mit den Händen durch das Haar. Der Wind zerrte an ihren Kleidern und das Raschen des Wassers hatte etwas seltsam Beruhigendes.

"Niemand ist perfekt. Alle begehen Fehler. Aber du hast ihn dir schon eingestanden, das
ist ein wichtiger Schritt. Bist du dir sicher, dass man den Fehler nicht ändern kann?"
Das mit dem Unterrichten hier wird anstrengender als gedacht...aber ich mag Herausforderungen

Aurora schüttelte den Kopf. "Nein, dies ist ein Fehler, den ich nicht rückgängig machen kann. Dazu müsste ich sterben."

Wieso? WIESO?!? Warum konnte ihr dummes Herz die Hoffnung nicht einfach irgendwann aufgeben? Warum musste sie sich an jeden einzelnen zerbrechlichen Strohhalm klammern? Tränen traten wieder in Alyshas Augen, während sie die letzten Schritte zurück zu Vivalie stolperte. Es war vergebens und in ihrem Kopf wusste sie das auch. Sie würde Eleyn nicht wiederfinden.
"Verzeih mir.", sagte sie leise und sah zu Boden. "Ich... die Musik war so schön."

"Was..." Vivalie zuckte zusammen und sah auf. Wofür entschuldigte Alysha sich? Es gab überhaupt keinen Grund... als sie die Tränen in den Augen ihrer Freundin sah, zuckte sie erschrocken zusammen. Etwas hilflos stand sie da, was sollte sie tun? Sie musste Alysha doch irgendwie trösten können... doch sie war nie gut in so etwas gewesen, sie hatte nie jemanden trösten müssen. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, all die Worte, die sie hätte aussprechen können, kamen ihr hohl vor. Leer und sinnlos. Schließlich trat sie zögernd einen Schritt vor und schloss Alysha unbeholfen in die Arme. Es war das erste Mal, seit einer Ewigkeit, dass sie so etwas tat und irgendwie... tat es auch ihr gut.

Als Vivalie sie so plötzlich und ungewohnt umarmte, war Alysha zunächst überrascht, doch dann fügte sie sich. So lange war sie alleine gewesen. Es tat gut, wenigstens einen schwachen Trost zu haben, wenigstens eine Person, die es noch kümmerte, was sie tat oder fühlte. Doch diese plötzliche Nähe raubte ihr auch ihre letzte Selbstbeherrschung und sie begann nun wirklich zu weinen.

Viv biss sich auf die Unterlippe und drückte Alysha unbeholfen an sich. Irgendwie war ihr Alysha immer stark vorgekommen, stärker als sie selbst, denn sie brauchte keine Maske, hinter der sie sich versteckte. Alysha war in den letzten Jahren innerlich ein wenig gewachsen und auch das war mehr, als sie von sich selbst behaupten konnte. Doch warum, warum weinte sie? Sie erstickte die Frage, noch bevor sie sie in Gedanken formen konnte. Sie selbst wollte nie, das man ihr fragen stellte. Alysha würde sich ihr anvertrauen, wenn sie wollte - das hoffte Viv zumindest.

Die Tränen tropften nun ungehindert herab und machten Vivalies Rücken nass. Alysha hätte sich wohl tausendmal mal dafür entschuldigt, wenn sie nichts so viel anderes im Kopf gehabt hätte. "Tut mir leid.", schniefte sie dann dennoch und hasste sich dafür, dass sie sich so schwach anhörte. "Die letzten Jahre ist... viel passiert. Viel zu viel. Und manchmal... manchmal bringt es mich aus dem Gleichgewicht, wenn ich daran denken muss."
Nur ein Wort war gelogen. Manchmal...
Genau genommen immer.

"Macht nichts.", erwiderte Vivalie schließlich. Dann schwieg sie eine Weile. Ihr Kopf schien wie leer gefegt. Plötzlich wünschte sie sich, wie die anderen Schüler zu sein - diesmal aus einem anderen Grund. Ihre Mitschüler würden bestimmt wissen, was in so einer Situation zutun war. Würden etwas aufmunterndes von sich geben. Optimistisch verkünden, das alles gut werden würde.
Sie konnte diese Worte nicht sagen, brachte es nicht über die Lippen. Denn ihrer Erfahrung nach, wurde viel zu selten etwas wieder gut.

Langsam beruhigte sich Alysha wieder. Sie löste sich aus der Umarmung und trat einen Schritt zurück. "Hattest du jemals eine Zeit, die du nicht vergessen kannst? Weil sie so schön war, dass man sich an jeden Augenblick erinnern möchte?" Sie sah zu Boden, unfähig irgendwem in die Augen zu blicken. "Hast du jemals etwas verloren, was die Welt für dich bedeutete?"

Aurora seufzte leise. Langsam erhob sie sich und wischte sich über ihre verweinten Augen.
Nachdenklich schaute sie aufs Meer hinaus. "Ich... sollte gehen." Aber was soll ich machen? Ich weiß nicht, wo Valfyn ist. Vllt könnte er mir bei meiner Fähigkeitenkontrolle helfen.

Finja sah sie an.
"Wenn du das willst. Aber merk dir Aurora: Wenn du etwas brauchst oder es dir nicht gutgeht, was auch immer es ist, du weißt wo du mich findest" Sie lächelte sie an und wandte sich der Klippe zu.
Nachdenklich sah sie hinaus auf die Wellen.
Auroras Worte hatten sie geschockt, was hatte dieses Mädchen nur erlebt?

"Weißt du.. weißt du vllt, wo Valfyn ist? Ich wollte ihn fragen, ob er mir bei meiner Fähigkeitenkontrolle hilft."
Schüchtern schaute sie sie an.

Finja überlegte. Valfyn? War das nicht einer der Lehrer?
Sie erinnerte sich daran, auf der Lehrerliste seinen Namen gesehen zu haben.
"Tut mir Leid, Valfyn habe ich noch nicht gesehen, ich bin ja heute erst angekommen...
aber weit kann er ja nicht sein...vielleicht ist er ja in seinem Büro?"
Sie sah Aurora entschuldigend an. Sie wünschte sie könnte ihr sagen wo dieser Valfyn ist, aber
sie wusste es leider nicht.

Aurora nickte. "Vielen Dank. Dann werde ich ihm... nachher einen Besuch abstatten." Beinahe hätte sie gegrinst, denn es hörte sich irgendwie wirklich komisch an.

Finja lächelte sie an.
"Ich wünsche dir viel Spaß und viel Glück bei der Fähigkeitenkontrolle"
Du schaffst das. Der Wille zählt.

Aurora nickte.
"Vielen Dank. Glück werde ich brauchen, um niemanden weh zu tun." murmelte sie und wandte sich um zum gehen.

"Aurora", rief Finja hinter ihr her. "Du hast einen starken Willen und du willst niemanden verletzen. Ich glaube an dich"
Mit diesen Worten wandte sie sich wieder zur Klippe um und sah auf das Wasser hinaus.

Aurora wurde wütend und drehte sich ruckartig um.
"Wo habe ich einen starken Willen? Ich habe mich dem Teufel persönlich verschrieben!"
Geschockt über ihre eigenen Worte hielt sie ihre Hand vor dem Mund. Ihre Augen waren weit augerissen.
"Ver.. vergiss was, ich gesagt habe."

Finja's Augen waren geweitet als sie sich umdrehte und Aurora ansah.
Der Teufel? Das ist kein Spiel mehr...
"Wenn du das wünschst werde ich es vergessen. Aber Aurora: Es klingt ernst. Ernst und übel.
Das Böse ist verdammt gefährlich, denk nicht du müsstest den Mund halten. Es gibt Leute die dir helfen können und wollen"

Viv spürte, wie sich ihr Körper anspannte, als Reaktion auf den Schmerz, den die Erinnerungen mit sich brachten. Ihr Lippen bewegten sich, doch sie selbst hörte ihre Worte kaum.
"Immer.", flüsterte sie tonlos. "Immer wieder." Sie schloss die Augen und plötzlich war sie diejenige die ebenfalls Halt brauchte und die Umarmung, in der sie noch immer standen spendete ihr Trost. Ja, auch sie hatte eine Zeit gekannt, in der alles schön gewesen war - genaugenommen hatte sie eine Kindheit besessen, die besser und schöner war, als die manch anderer Elben - doch das lag lange zurück und sie selbst war es gewesen, die es zerstört hatte. Der Fluch ihrer Macht erstreckte sich bis auf die heutige Zeit: All diejenigen, die sie liebte, oder auch nur mochte, würden sterben. Sterben... wenn sie nicht weiterging und jedesmal ein Stück von sich selbst zurückließ.