Das war durchaus eindeutig genug gewesen. Nicht dass Janez sich irgendwie gekränkt gefühlt hätte, aber er konnte an der Situation wohl nichts ändern. Gerade wollte er aufstehen und gehen, da bat Aurora den Dschinn sich zu ihnen zu setzten. Sollte das eine Aufforderung an beide sein, hier zu bleiben? Nach einem Moment des Zögerns beschloss er, sich einfach wieder an die Felswad zu lehnen und zu sehen, wie die Situation sich entwickeln würde.
Er warf Ilyas einen Blick zu der wohl so viel sagte wie 'Spekulationen?', gegenüber Aurora sparte er sich diesen 'Ich-habe-es-Dir-doch-gesagt'-Blick bezüglich Ilyas' weichem Kern.

Janez ließ sie glücklicherweise los und sie rutschte ein wenig zur Seite. Sicher war sicher. Den Korb hob sie auf ihren Schoß und betrachtete die verschieden aussehenden Früchte. Darunter ihr unbekannte. Sie hoffte schwer für Ilyas, dass er nicht gelogen hatte, dass sie nicht vergiftet waren. Denn andern falls würde es nicht gut für ihn ausgehen. Doch in diesem Punkt vertraute sie auf den Dschinnkodex, der ja wahrscheinlich eindeutig besagte, dass man seinem Meister - hier Meisterin - nichts tun darf.
Neugierig nahm Aurora eine Frucht heraus - eine Dattel - und drehte sie zwischen ihren Fingern. Sie sah ziemlich komisch aus. Dann schob sie sich die ausländische Frucht in den Mund ... und sie schmeckte köstlich. Trotzdem hatte Aurora ein schlechtes Gewissen. Aus diesem Grund schob sie auch Janez den korb hin, damit er sich bedienen konnte.

Janez war verwirrt. Eigentlich hatte er erwartet, es sich grundlegend mit Aurora versaut zu haben...und dann bot sie ihm von ihren Früchten an? Er kam zu de Schluss, dass es wohl doch nicht alles war, zu wissen, wie sich die Leute fühlten, nicht wenn man sie verstehen wollte. Ich muss mehr unter Leute...
Er überlegte einen Moment, das angebot abzulehnen, aber der Hunger überzeugte ihn schließlich vom Gegenteil...abgesehen davon, wäre es äußerst unhöflich gewesen, abzulehnen, was er sich im Moment sowieso nicht leisten konnte. Also nahm er sich eine Dattel. "Ich...danke Dir.", sagte er schlicht, immernoch nicht sicher, ob Aurora den Korb nicht einfach zwischen sie geschoben hatte, um zu verhindern, dass Janez sie noch einmal berührte.
Datteln hatte Janez noch nie gegessen, aber er vertraute darauf, dass Auroras reaktion auf die Frucht allgemeingültig war. Die Dattel fühlte sich komisch an in seinem Mund, irgendwo zwischen hart und weich und er war sich auch nicht sicher, ob sie süß oder nach Papier schmekte, aber schlecht war sie auf keinen Fall...vorallem weil schon eine Dattel ein sättigendes Gefühl bewirkte.
"Hör zu.", sagte er nach einer Weile, "Ich habe keine Erfahrung mit den Leuten...ich weiß nur wie sie sich fühlen, nicht wie man mit ihnen umgeht. Wenn ich Dich verletzt habe, dann will ich mich dafür entschuldigen."
Irgendwie bezweifelte Janez, dass er das aus einem schlechten Gewissen heraus gesagt hatte - wie denn auch? - aber trotzdem hatte er den Eindruck, dass der Drang, das zu sagen über reine Höflichkeit hinausging.
Ich habe wirklich keine Ahnung von sowas...ich werde im Moment nichtmehr schlau aus mir...

Abwartend schaute Aurora ihn an. Es schien, als würde er überlegen, ob es richtig war, eine zu nehmen oder nicht. Schließlich schien er sich dafür entschieden zu haben. Er nahm sich eine Dattel heraus und schob sie sich in den Mund. Die Halbhexe selbst nahm sich auch noch eine heraus und bewunderte die seltsame Form und das Aussehen. Diese Frucht war eindeutig fremd. Zuerst hatte sie geglaubt, es sei eine Kreuzung aus zwei anderen Früchten. Nichts dergleichen war es.
Verwirrt schaute Aurora Janez an. Erst verstand sie nicht genau, wofür er sich entschuldigte. Doch langsam sickerte die Erkenntnis bei ihr durch und sie schüttelte den Kopf. "Schon gut, Janez. Ich bin nicht so nachtragend, wie ich wirke und du hast es ja nur gut gemeint. Das verstehe ich. In deiner Situation hätte ich wohl auch so reagiert." erklärte sie ihm und aß die Dattel, die sie die ganze Zeit betrachtete hatte, auf.
Dann blickte sie in den Wolken verhangenen Himmel. Es sah nicht unbedingt nach schönem Wetter aus. Nach diesem Unwetter zweifelte sie daran. Es würde sicherlich eher den ganzen Tag nieseln und sie fürchtete sich vor der Wanderung nach Hause, zurück zur Schule. Und auch vor Levins Beerdigung. Sie würde dafür Sorgen, dass er keine bekam. Das war sie ihm schuldig. Nachher würde sie mit Darren und Niamh darüber reden. Sicherlich waren sie einverstanden.
Plötzliche Sehnsucht nach ihrem toten Freund kam hoch. Auch wenn sie es nicht wollte, Janez spürte es bestimmt.

Janez versuchte garnicht erst zu lächeln, nickte Aurora nur zu, wobei dieses Nicken wohl eher einer Verbeugung gleichkam - sofern man sich im Sitzen verbeugen konnte.
Er fogte ihrem Blick und spürte die Unruhe und Furcht in ihr aufsteigen. Er warf Aurora eine Blick zu der sagte 'Das wird schon.', ob sie es nun registrierte oder nicht.
Dann blickte er wieder in den Himmel und versuchte zur Ausnahme einmal an garnichts zu denken.
Was störte deinen Traum, als du an meiner Seite liegend schliefst?
Was trieb dich in die schwarze Nacht?
So dass du schließlich ohne Kleid und Schuhe in die Kälte liefst
Was hat dich nur dazu gebracht?
Aus irgendeinem Grund fielen Janez diese Zeilen aus einem alten Lied wieder ein. Er konnte sich weder an die anderen Strophen, noch an die Melodie erinnern, er empfand auch nichts dabei. Aber irgendwie kamen diese Zeilen in ihm hoch...
Er öffnete die Augen und sah sich fast schon erschrocken um, als er bemerkte, wie sich seine Lippen bewegten.
Habe ich diese Zeilen gerade laut gesagt? ....Es passieren merkwürdige Dinge, hier.
Janez blickte zu Aurora und war sich nicht sicher ob sie etwas bemerkt hatte - sofern er die Zeilen denn überhaupt laut ausgesprochen hatte...
Er deutete auf den Obstkorb. "Darf ich?", frage er dann, als ihm auffiel, dass er sich an der einen Dattel eigentlich nur hungrig gegessen hatte.

Aurora lächelte nur zaghaft, wobei eigentlich nur ihre Mundwinkel ganz leicht nach oben gezogen wurden und es gar nicht wirklich wie ein richtiges Lächeln wirkte. Aus den Augenwinkel sah sie, wie sich Janez' Lippen bewegten, er aber nichts sagte. Automatisch drehte sie ihren Kopf zu ihm und zog die Augenbrauen nachdenklich zusammen. Schade, dass sie keine Lippenleserin war. So hätte sie gewusst, was er gesagt hatte. So musste sie ihn aber entweder fragen oder sie ließ es einfach bleiben. Aurora entschied sich für letzteres.
Die halbhexe nickte nur. "Bedien dich." sagte sie nur und schob sich nun eine ihr bekannte Beere in den Mund. Die Süße breitete sich auf ihrer Zunge aus und sie genoss den leckeren Geschmack. Diese Frucht schmeckte beinahe wie Honig. Dabei war es kein Honig, sondern nur eine einfache Beere, die danach schmeckte.
Aurora streckte nun ihre Beine aus. Die Sitzposition wurde ihr langsam zu unbequem. Außerdem musste sie wieder ihre Muskeln dehnen. Das war ja sonst kein Zustand, fand sie.

"Vielen dank.", sagte Janez und nahm sich ein paar Früchte aus dem Korb.
"Weißt Du", frate er dann, "wie es jetzt weiter geht? Nach allem was passiert ist..."
Im viel wieder ein, dass Niamh noch mit ihm sprechen wollte...bezüglich einiger 'Formalitäten'. Er hatte immernoch den Eindruck, dass Niamh wirklich in Ordnung war und für alle hier das Beste wollte, aber Janez war sich einfach nicht sicher, was das Beste für ihn war.
Und dann war da ja noch dieses Mädchen, das ihn in er Höhle berührt hatte. Mit ihr wollte er auch noch sprechen. Ob sie schon wach war? Egal. Früher oder später würde sie es schon sein, und dann würde sich schon eine Möglichkeit ergeben, sie anzusprechen...obwohl er sich inzwischen nichtmehr sicher war, ob das wirklich nötig war.
Diese Tage stürzten ihn in Verwirrung. Unschlüssig was er tun sollte, ließ er seinen Blick über die Landschaft schweifen und aß die Früchte...

Die Sonne war längst aufgegangen, der Sturm vorbei. Der Morgen begrüßte sie, kühl und frisch, und Alysha verspürte augenblicklich Erleichterung der Höhle entkommen zu sein. Sie streckte sich und spürte, wie ihre Gelenke knacksten. Fast augenblicklich fühlte sie sich besser.
Anscheinend hatten einige Schüler die Nacht draußen verbracht, trotz des Sturmes und der Gefahr, stellte sie fest. Und einige Fremde waren eingetroffen, bemerkte sie mit einem Anflug des alten Misstrauens. Was würde Darren wohl dazu sagen? Aber er hatte ja diese Gedankenleserin, die ihm sagen konnte, wer den Schülern Böses wollte und wer nicht. Alysha verließ sich nicht darauf. Niemand war unfehlbar.
In der Nacht hatte sich der Zopf, den Vivalie geflochten hatte, teilweise aufgelöst und sie fuhr sich durch die langen Haare, um ihn vollständig zu entwirren. Vielleicht sollte sie sie einfach abschneiden, dachte sie ungeduldig. Praktischer wäre es. Aber sie wusste ganz genau, was sie zurückhielt. Eleyn hatte ihre langen Haare gemocht, und es war eines der wenigen Dinge, die sie noch mit ihr verbanden. Und soweit war es noch nicht mit ihr gekommen...
Sie sah auch Aurora, in Begleitung dieser Fremden, und das Mädchen sah alles andere als glücklich aus.
Natürlich nicht, Al wusste, was ihr geschehen war; zumindest in Ansätzen hatte sie die Gerüchte gehört, hatte den Toten gesehen... Sie wusste, es wäre angebracht, hinüberzugehen, einige tröstende Worte an sie zu richten. Denn anscheinend war nicht eine Freundin bei dem Mädchen. Nur diese Fremden...
Doch sie brachte es nicht über sich. Beim besten Willen nicht. Wann immer sie die andere erblickte, empfand sie einen so schmerzhaften Stich der Enttäuschung, dass jedes Mitleid, das sie zu empfinden versuchte - und sie versuchte es wirklich! - im Kern erstarb.
Alysha musste sich anstrengen, um ihren anklagenden Blick abzuwenden. Das konnte Aurora jetzt nicht gebrauchen.

Janez bemerkte, dass jemand aus der Höhle gekommen war - eine junge Frau mit braunen Haaren, die jetzt zu ihnen hinüber sah. Sie sah alles andere als glücklich aus. Aber das war ja auch zu verstehen: Anscheinend war es hier niemandem sonderlich gut ergangen in letzter Zeit.
Kurz überlegte er, ob er zu ihr hinübergehen und sie ansprechen sollte, zum einen wäre es furchtbar unhöflich gewesen, Aurora eine Frage zu stellen und dann zu gehen, bevor sie antworten konnte und zum anderen konnte Janez das Misstrauen der jungen Frau bis hierhin spüren - würde er jetzt aufstehen und zu ihr hinübergehen würde das sicher einen merkwürdigen Eindruck machen, also entschied er sich, einfach sitzen zu bleiben und den Blick abzuwenden, bevor es nach einem Starren aussah.
Ich habe Zeit, ich kann später immernoch mit allen reden...

"Gern geschehen." meinte Aurora leise und seufzte leise.
"Wir werden bestimmt zurück zur Schule gehen. Ich weiß nur nicht genau, wann. Aber sicherlich so bald wie möglich. Denn das Wetter sieht nicht unbedingt gut aus." meinte sie und meinte damit den dichten Nebel, sowie den bewölkten Himmel. "Bestimmt werden die Lehrer eine Lehrerversammlung abhalten. Schließlich kann es ja so nicht weiter gehen." Und plötzlich hatte sie Angst. War die Schule wirklich noch sicher? Vielleicht sollte sie einfach gehen. Zurück zu Betty. Aber Tristan war bei ihr und sie mochte den Gedankenleser einfach nicht. Da konnte man machen, was man wollte. Sympathie würde er nie bei ihr wecken. Und ihr Gefühl sagte ihr, dass die Antipathie auf Gegenseitigkeit beruhte. Außerdem wollte sie nicht ... stören. Sie würde eh nur das dritte Rad am Wagen sein. Und ehrlich gesagt, darauf hatte sie nun wirklich keine Lust.
Aurora hörte leise Schritte. Sie kamen direkt aus der Höhle. Augenblicklich wandte die Halbhexe ihren Kopf zur Geräuschquelle. Es war Alysha. Nur Alysha. Kurz erwiderte Aurora ihren Blick. Sah sie da einen anklagenden Blick? Aurora verstand nicht ganz und wandte ihren wieder ab.
Plötzlich hatte sie keinen Hunger mehr. Sie war satt. Janez konnte ruhig die Beeren aufessen, wenn er mochte. Ganz in Gedanken versunken zog sie ihre schmalen Beine an ihren Körper, schlang ihre dünnen Arme darum und bettete ihren Kopf auf ihre Knie. Und so schaute sie in die neblige Landschaft.

Man brauchte wirklich kein Empath zu sein, um an Auroras Körperhaltung erkennen zu können, dass sie sich wirklich schlecht fühlte. Aber Janez erkannte auch das Chaos, das wieder in ihr aufflammte.
Auroras Reaktion auf den Blick der jungen Frau war eindeutig, aber für Janez unerklärlich. Noch einmal zwischen den beiden hin und her fragte er: "Stimmt etwas nicht mit ihr? Oder sind es nur wir?" - er deutete auf sich und Ilyas, der immernoch etwas abseits stand.
Aus Ilyas wurde er immernoch nicht schlau. Für Janez stan zwar fest, dass er kein so übler Kerl sein konnte, wie er vorgab zu sein, aber dass er einfachso verschwand und dann mit einem Korb voller Früchte wiederkam? Das erschien ihm wirklich nicht ähnlich...andererseits kannte er ihn natürlich auch nicht...
Noch einmal sah Janez zu Aurora herüber und wieder verspürte er diesen Drang, ihr etwsa von ihrer Last abzunehmen. ...Aber sie wollte sich ja nicht helfen lassen.
Vielleicht sollte ich mit jemandem sprechen, der sie besser kennt?

Aurora schüttelte den Kopf. "Nein, alles okay." sagte sie leise und wirkte plötzlich abwesend. Ihre Augen wirkten leer. Ausdruckslos. Sie seufzte tief und spürte nur Leere. Zwar hatte sie kein Hunger mehr. Aber sie hatte das Gefühl, innerlich zerbrochen zu sein nach dem Tod Levins. Wo wohl sein lebloser Körper war? Gut, dass sie seinen Körper nicht sah. Wahrscheinlich wäre sie dann abermals weinend zusammen gebrochen. Müde zog sie die Schultern an. Eine Woche Gefangennahme hatten an ihrem Körper gezerrt. Danach der Tod Levins ... Dass sie nicht bereits verrückt geworden war, wunderte sie.

In dem Moment, in dem bei ihr alle okay ist, habe ich wieder Emotionen.
"Wenn Du das sagst, werde ich Dir glauben."
Janez blickte sich um. Seine Beine waren kurz davor einzuschlafen, er hatte zu lange herumgesessen.
"Ist es für Dich in Ordnung, wenn ich nochmal kurz in die Höhle sehe? Es gibt da noch ein paar Leute, mit denen ich sprechen sollte. ...Wenn Du wert darauf legst, komme ich nachergrne nochmal hier vorbei. Ansonsten sehen wir uns bestimmt später..."
...und ich wünsche mir für Dich, dass Du dann nichtmehr so aufgelöst bist...

Aurora nickte nur kurz und meinte: "Hmmh ..." Mehr sagte sie dazu nicht. Doch dann schaute sie auf, als er meinte, er wollte noch kurz in die Höhle. "Okay, geh ruhig. Viel Spaß." erwiderte sie knapp und wandte sich wieder ab. Bettete ihr Kinn auf ihre Knie und schaute wieder stur gerade aus. Ihr Gefühl sagte ihr, dass er es wahrscheinlich nicht mehr neben einem depressiven, jungen Mädchen mehr ausgehalten hatte. Verständlich. Sie quälte ihn ja förmlich mit ihren Gefühlen. Schließlich konnte er sie ja spüren. Wenn auch nicht verändern.

Janez erhob sich und hätte er es gekonnt, so hätte er wahrscheinlich gelacht, so schaffte er es nur, Aurora zuzuzwinkern. "Du weißt, dass ich keinen Spaß haben kann...", meinte er.
Dann wandte er sich ab und ging auf den Höhleneigang zu.
Nach ein paar Schritten dreht er sich noch einmal um.
"Es tut mir wirklich Leid, wenn ich Dich damit belästige: Aber ich bitte Dich - bevor Du Dich zerstörst, lass mich wenigstens versuchen, Dir zu helfen."
Mit diesen Worten wandte er sich erneut ab und ging in die Höhle.

>>>tbc: Die unterhöhltn Klippen

Aurora erwiderte ihren Blick nur kurz und sie wirkte so verwirrt, dass Alysha sich schon wieder schuldig fühlte. Aber sie konnte nichts gegen ihr Empfinden tun. Sie hatte sich so viel Mühe gegeben, das Beste für dieses Mädchen zu erreichen. Und nichts als Schmerzen erhalten. Irgendwann war selbst ihre Toleranzgrenze, die sie schon viel zu hoch angesetzt hatte, überschritten. Es mochte sein, dass Aurora sich nicht einmal mehr an den Vorfall erinnerte - sie hatte genug andere Erlebnisse, die sie verarbeiten musste. Aber Alysha hatte nicht vergessen. Diesmal nicht.
Einer der Fremden stand auf und ging auf sie zu. "Aber ich bitte Dich - bevor Du Dich zerstörst, lass mich wenigstens versuchen, Dir zu helfen.", hörte sie ihn nach hinten gewandt sagen. Selbst er kümmert sich um sie, dachte sie und stellte erneut fest, dass das Leben nicht gerecht war. Selbst Menschen, die Aurora doch kaum kannten, sorgten sich um sie, so offensichtlich, wie sie litt.
In einem plötzlichen Anfall von Selbstmitleid bemerkte sie, dass niemand sie in der letzten Zeit je gefragt hatte, wie es ihr ging - mit Ausnahme von Vivalie und Delayne vielleicht. Und selbst die hatten genug eigene Probleme zu bewältigen.
Es ist deine eigene Schuld - du erzählst den Menschen nicht, wie es dir geht. Folglich musst du auch alleine damit fertig werden... Aber so einfach war es nun auch wieder nicht, das wusste sie. Sie war nie ein Mensch der vielen Worte gewesen und es fiel ihr schwer, all das auszusprechen, was ihr am Herzen lag.
Sie trat einen Schritt zur Seite, um den Fremden durch den Höhleneingang zu lassen. Unauffällig musterte sie ihn. Er sah recht düster aus - aber das tat Darren auch. Kein Grund vorschnell zu urteilen. Al sah ihm nach und schenkte ihm die Andeutung eines Lächelns - nicht dass er vermutlich darauf achten würde. Sie sollte es Aurora besser gönnen, dass es immer Menschen geben würde, die sich um sie kümmerten. Das Mädchen würde niemals allein sein...

Aurora war es zuwider zu sitzen. Sie saß einfach nur untätig rum. Stattdessen könnte sie doch etwas nützliches tun. Oder einfach etwas anderes, als Trübsal zu blasen. Die Halbhexe erhob sich langsam und das schlechte Sitzen machte sich bemerkbar. Ihre Muskeln waren verspannt. Erneut musste sie sich strecken, um ihre Muskeln aufzulockern. Dabei reckte sie sich und hob ihre Arme hoch, bevor sie sie sinken ließ.
Dann bewegte sich Aurora auf Alysha zu. Spürte, wie schwach sie eigentlich noch war, ignorierte aber die Müdigkeit. Wenigstens so wollte sie niemanden zur Last fallen. Ein leichtes Lächeln, welches durchaus ehrlich gemeint war, huschte ihr über die Lippen. "Hallo, Alysha. Wie geht es dir? Hast du gut geschlafen?" fragte sie sie freundlich und blieb etwa 50 Zentimeter vor ihr stehen. Aurora musste hoch schauen. Denn Alysha war doch um einiges größer als sie. Sie hatte sich bereits daran gewöhnt, dass sie fast mit zu den Kleinsten hier gehörte und wahrscheinlich auch zu den Schwächsten. Aber was solls ...
Die Halbhexe wischte sich eine wirre Haarsträhne aus ihrem Gesicht hinter ihr Ohr. Sie erinnerte sich noch genau an den Vorfall von damals. Alysha hatte ihr nur helfen wollen. Und sie war undankbar gewesen. Diese Erkenntnis sickerte immer mehr in ihr durch. Aber für eine Entschuldigung war es bereits zu spät. Wenigstens konnte sie momentan niemanden mehr verletzen. Dank Ilyas.

Überrascht sah Al auf, als Aurora sich erhob und auf sie zukam. Welchen Grund konnte es dafür geben? Ihr fielen nur wenige Gründe ein und keiner davon gefiel ihr besonders. Bitte nicht..., dachte sie und war selbst schockiert über solch bitterböse Gedankengänge.
Sie sah die zierliche Silhouette Auroras vor sich, ihre schmerzerfüllten Augen, das zögerliche Lächeln. All das nahm sie wahr und doch konnte sie kein Mitleid empfinden. Sie schaffte es einfach nicht. Und sie wusste, sie würde alles nur noch schlimmer machen.
Es war unhöflich den Blick abzuwenden, doch sie konnte Aurora nicht in die Augen sehen. "Spar dir die Mühe.", sagte sie schließlich und hasste sich für jede einzelne Silbe. "Ich will nicht mit dir reden."
Hör auf damit! Hör auf, mit mir zu reden, so als wären wir Freunde...

Aurora wartete auf eine Antwort von Alysha. Nur ihr Gesichtsausdruck gefiel ihr ganz und gar nicht. Als würde sich Alysha vor ihr ekeln. Und diese schmerzhaften Worte Alyshas bestätigten nur ihre Gedanken. Alysha hasste sie. Traurig senkte die Rothaarige ihren Blick, schaute auf ihre zerrissenen Latschen. Ihre Schultern waren leicht nach oben gezogen. Eine alte Angewohnheit, wenn Ärger im Anflug war.
Und dann platzte es einfach aus ihr heraus. "Ich weiß, warum du wütend auf mich bist. Und es tut mir Leid. Es war damals einfach nicht fair von mir gewesen. Und ich weiß, dass ich das Geschehene nicht rückgängig machen kann." sagtes ie viel zu schnell und holte erst nach ihren Worten Luft. "Ich kann verstehen, dass du wütend auf mich bist. Du wolltest mir damals nur helfen. Aber ich war undankbar. Und das tut mir wirklich Leid. Bitte verzeih mir." Die letzten Worte waren nur noch geflüstert bis schließlich ihre Stimme versagt und sie verstummte.
Auroras Worte waren absolut ehrlich. Aber ob Alysha ihr jemals verzeihen würde, bezweifelte sie. So konnte sie nur noch warten und hoffen.

Aurora hörte nicht auf sie. Natürlich nicht. Es war nicht so, dass die Leute jemals auf sie hörten.
Als sich Aurora tatsächlich entschuldigte, war Alysha überrascht. Sie hatte nicht mehr damit gerechnet.
Um Zeit für ihre Antwort zu gewinnen band sie ihre Haare mit Vivalies Haarband zu einem provisorischen Zopf zusammen. Ein Teil von ihr bettelte förmlich darum die Entschuldigung anzunehmen. Sie würde nicht mehr bekommen. Doch der größere Teil Alyshas war ganz und gar nicht gewillt Auroras Rechtfertigung zu akzeptieren. Nichts daran stimmte. Nicht der Tonfall, nicht die Worte, nicht der Inhalt. Schon gar nicht der Zeitpunkt, jetzt, Wochen später.
Jeder würde von ihr erwarten, dass sie verzieh. Weil sie es immer tat, weil so jede Geschichte endete. Al wusste nicht, ob es Zuschauer bei ihrem kleinen Intermezzo gab und jetzt gerade kümmerte es sie nicht. Es fühlte sich so unvertraut so wütend zu sein.
"Ich glaube dir nicht.", entgegnete sie und mühte sich den schroffen Klang ihrer Worte abzumildern. "Ich weiß, ich sollte dir verzeihen, und alles wird wieder gut. Ich sollte nicht auch noch zu einem deiner zahllosen Probleme werden." Sie schluckte und es tat in ihrer Kehle weh. "Aber ich kann es einfach nicht glauben." Sags nicht, Al. Du wirst es bereuen. Sie hatte einen Kloß im Hals und wusste, warum sie normalerweise Schweigen vorzog. Worte konnten so sehr verletzen. "Wenn du ehrlich bist, hast du die letzten Wochen keinen einzigen Gedanken an mich verschwendet. Leute wie ich spielen nur dann in deinem Leben eine Rolle, wenn sie Störfaktoren sind. Wärst du mir nicht jetzt gerade über den Weg gelaufen, wäre ich nicht wieder eine unangenehme Komponente in deinem Leben, die du eliminieren willst - du hättest dich nie entschuldigt."

Aurora spürte, wie die verletzenden Worte sich wie Messerstiche tief in sie bohrten. Und stark blutende Wunden hinterließen. Was hatte sie eigentlich erwartet? Dass Alysha ihr tatsächlich verzeihen würde? Ehrlich gesagt ja, sie hatte es so sehr gehofft. Sie hatte so sehr gehofft, mit ihr Freundschaft schließen zu können. Hier an der Schule hatte sie eindeutig zu wenig Freunde. Oder Wesen, die sie einfach akzeptierten.
Sie spürtew ie sie immer kleiner wurde. Immer mehr zusammen sackte und so stand sie da, wie ein kleines Häufchen Elend. Bedrückt schaute Aurora zu Boden. Es würde nie alles gut werden.
Dann schüttelte Aurora den Kopf. "Das ist nicht wahr." sagtes ie mit erstickter Stimme. "Wie kannst du nur glauben, ich würde meine Worte nicht ernst meinen. So ein schlechter Mensch ich auch bin. Aber dich anlügen würde ich nie." sagte sie absolut ehrlich und schaute Alysha direkt in die Augen. Ihr Gegenüber sollte anhand ihrer Augen sehen, dass sie nicht log. "Hol Zafina her. Sie wird bestätigen, dass ich nicht lüge." rechtfertigte sie sich und ballte ihre Hände zu Fäusten. Ungewollt sammelten sich Tränen in ihren Augen udn sie hatte große Mühe, sie zu unterdrücken. Ihr ganzer Körper war angespannt. "Und es sind nur zwei Wochen vergangen. Mehr nicht. Ich hätte mich gerne früher entschuldigt. Aber wie du sicherlich weißt, durfte ich den Mordo Fea einen kleinen Besuch abstatten und die ganze Woche davor habe ich verbracht, mir zu überlegen, wie ich mich am besten bei dir entschuldige." Ihre blassen Lippen zitterten. Ihre Augen wurden glasig.
Und dann ließ sie ihre Schultern hängen, schaute wie ein gepeinigter Hund zu Boden. "Aber ich verstehe es, wenn du mir nicht verzeihen möchtest. Ich war undankbar und dies ist nun meine Strafe." sagte s ie leise. "Ich gehe besser, bevor du noch wütender auf mich wirst." Und mit diesen Worten drehte sich Aurora um. Machte Anstalten zu gehen.

"Du hörst mir nicht zu.", stellte Alysha leise fest. "Ich habe nie gesagt, dass du lügst." Nur dass ich es nicht glauben kann...
"Und das ist nicht der Punkt, wirklich." Gut gemacht, Al. Nun weint sie beinahe und es ist deine Schuld. Ist es das, was du wolltest? Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass jemals irgendwer wegen ihr geweint hatte. Irgendjemand würde Aurora schon trösten - nachher.
Nichts würde durch ihre Worte besser werden, gar nichts. Vermutlich würde sie sich nicht einmal besser fühlen. Aber sie wollte, dass Aurora zumindest einmal sah, was sie meinte.
"Der Punkt ist einfach, dass du alles, was du tust, nur für dich tust. Du scherst dich einen Dreck um andere Menschen." Verdammt, sie wäre für dieses Mädchen gestorben! Schon lange war sie nicht mehr so wütend gewesen. Aber es war eine seltsam leise, verbitterte Wut, die sich nicht in Schreien, Flüchen oder Wutausbrüchen äußerte. "Es ist, als würde sich die ganze Welt nur um dich drehen, weißt du? Wenn ich nun deine Entschuldigung zurückweise, ist das nur eine willkommene Gelegenheit für dich, dich in dein Selbstmitleid zurückzuziehen. Wenn ich sie annehme, bin ich nicht mehr von Bedeutung für dich und du findest einen anderen Grund. Wenn ich den Vertrag des Engels nicht auf mich genommen hätte, hättest du ewig über dein schweres Schicksal gejammert. Jetzt da ich es getan habe, kannst du mir die Schuld zuschieben, wenn deine Gabe außer Kontrolle gerät. So ist das Leben leicht für dich, denn du tust stets das, was am leichtesten für dich ist." Alysha redete sich in Rage. "Dir ist es egal, wie es anderen währenddessen geht. Es kümmert dich nicht, dass sie vielleicht auch Gefühle haben und was für Auswirkungen deine Taten auf sie haben könnten! Hauptsache, jeder steht dir zur Seite, um dich zu bedauern, und wenn gerade niemand verfügbar ist, kannst du dir immer noch selbst Leid tun!"

Aurora wollte etwas erwidern. Öffnete bereits den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber wieder. Alysha redete sich gerade in Rage. Sie spürte, wie die Worte in ihren Kopf sickerten und sich dort wie Parasiten einnisteten. Wahrscheinlich mochte man sie aus diesem Grund so wenig. Weil sie in Selbstmitleid versank. Aber es gab einiges, was nicht stimmte. "Alysha, das ist nicht wahr." sagte sie schnell. "Vielleicht hast du recht, dass ich egoistisch bin. Dass ich mir wünsche, dass alle Menschen um mich sind und sich kümmern. Vielleicht versinke ich in Selbstmitleid. Aber dass ich an jenem Tag egoistisch gedacht habe, stimmte nicht. Ich wollte dir helfen. Ich wollte einfach nicht, dass jemand das gleiche erleiden musste wie ich. In diesem Moment hatte ich nicht an mich, sondern an dich gedacht." Dann wurde sie seltsam still. "Und ich würde dir niemals die Schuld dafür geben, wenn meine Gabe außer Kontrolle gerät. Schließlich ist es meine. Du hast rein gar nichts damit zu tun."
Und dann spürtes ie, wie unbändige Wut in ihr hochkam. Gut, dass Ilas ihr ihre Fähigkeit fürs erste genommen hatte. "Mir ist es nicht egal, wie es den anderen geht. Wäre es mir egal, würde ich nicht versuchen, mich von anderen fernzuhalten. Denn ich möchte sie nicht verletzen. Wäre ichs o egoistisch wie du es sagst, würde es mich einen Dreck kümmern. Dann wäre es mir egal, wenn ich die Kontrolle verlieren und in dem Moment etliche Menschen um mich stehen würden. Ich habe nie darum gebeten, dass mich jemand bedauert." Ihre Stimme wurde immer lauter. "Ich habe nie jemanden darum gebeten, mir zu helfen. Das war alleine deren Entscheidung. Ich bin denen dankbar. Natürlich. Aber sie hätten es nie machen müssen. " Aurora atmete schnell ein und aus. Das viele Reden und Schreien hatte sie angestrengt. MErkwürdig leise nach diesem Schreianfall sagte sie: "Alysha, ich bin nicht perfekt. Auch du nicht. Jeder macht einmal Fehler. Seien es größere oder kleinere. Und jeder hat eine zweite Chance verdient. Nun obliegt es in deiner Entscheidung, was du jetzt tust. Verzeihe mir oder lass es. Ich werde beides akzeptieren."

Ilyas sah Aurora ein wenig irritiert an, als diese so locker auf die Früchte reagierte (er bezweifelte zwar wirklich, dass sie nicht vergiftetes Essen erwartet hatte, aber gut). Ihre Aufforderung sich zu ihr und dem Hippie- der irgendwie noch gruseliger war, seit dieser Gefühlssache- zu setzen, lehnte er ab. "Danke für das Angebot, aber ich kann nicht. Siehst du diese Hosen? Reine Seide- weißt du wie schwer man Dreck da wieder rauskriegt? Das ist fast so schwer wie Blut auszuwaschen."
Affektiert zupfte er an seiner weißen Hose. Natürlich wäre es ein Leichtes für ihn, Flecken zu entfernen (wozu hatte er magische Fähigkeiten?), aber er verspürte einfach nicht die geringste Lust sich zu Kitschig und Kitschiger zu setzen.
Wenn ich mich übergeben will gibt es wesentlich angenehmere Wege...
Er hörte den Beiden eine Weile zu, doch da nichts Interessantes mehr gesagt wurde, driftete er mehr und mehr in Gedanken ab. Am Rande nahm er wahr, wie Zombie-Boy in Richtung Höhle davon trottete, während Aurora eine heftige Diskussion mit einem ihm unbekannten Mädchen führte. Er überlegte kurz, ob er Mitleid mit ihr haben sollte, beschloss dann aber, dass sich der Aufwand nicht lohnte. Außerdem hatte er heute schon eine gute Tat hinter sich gebracht.
Leise vor sich hinpfeifend spazierte er von der Höhle weg in Richtung Strand, wo er stehen blieb und auf das Meer hinaus sah.

[cf: Eine Nebenstraße]

Ein lautes 'Platsch' zerriss die Stille. Dann ein panisches Fauchen und ein erstickter Schrei als Fili mitsamt Kater einige Meter vom Strand im Wasser wie aus dem Nichts auftauchte.
Erst jetzt realisierte sie, was sie eben überhaupt erschreckt hatte. Waren das Flügel gewesen?
Naja, jetzt war es zu spät. Prüfend sah sie an sich hinab und stellte fest, dass sie bis über den Bauch im Wasser stand und durch die Landung, die wohl etwas oberhalb des Wassers erfolgt war, weshalb sie ein kleines Stück gefallen war, und das deshalb aufgespritze Wasser, war auch der Rest von ihr nass.
Ihr passierten ständig solche Dinge, stellte sie enttäuscht fest und ließ die Schultern hängen. Sie hatte diese Fähigkeit und konnte sie nicht kontrollieren. Als Kind war sie so oft v ersehentlich auf dem Dach des Hauses gelandet, dass ihre Eltern eine Leiter angebracht hatten, damit sie selbstsändig hinunter kam. Aber seit einigen Jahren wurde es immer schlimmer. Wann immer sie sich erschreckte, landete sie oft kilometerweit entfernt... und die Landung auf Hausdächern war dabei oft noch das angenehmste.
"Wenigstens bin ich nicht mitten auf dem Meer gelandet...", versuchte sie, sich die Situation schön zu reden und zuckte kurz zusammen als Lery auf ihrer Schulter aufsprang und in eine Kugel gesträubten Fells verwandelte.
"Och, süßer...", versuchte sie ihn zu beruhigen, erntete jedoch nur ein missbilligendes Fauchen.