Jay musste das Schwert ja schon beinahe fallen lassen, Zafina war wohl zu schnell.
Er lachte und hielt ihr freundschaftlich die Hand hin. "Na gut. Lust, noch einwenig rum zu laufen?"
Auch wenn Zafina eher abweisen war, konnte Jayden sie jetzt schon gut leiden.
Vielleicht konnte er ja noch einwenig über sie herausfinden.

[cf. Wohnblock 5]

Helizia atmete erleichtert auf, als sie sich den Kampfplatz besah. Erstens war niemand außer ihr hier und zweitens konnte nicht viel kaputt gehen.
Sie legte ihr Baumwolltuch und zeichnete mit der Kreide ein Pentagramm darauf. "deessa Estimat, ajuda'm.", murmelte sie und setzte sich auf das Tuch drauf. Sie holte tief Luft. Liz umschloss das Amulett mit der linken Hand und öffnete sich ihrer Fähigkeit. Von überall strömten Gefühle auf sie ein. Ihr Radius war so groß, dass sie die Gefühle aller Schüler spürte. Und diese Gefühle drängten sich mit aller Macht und Gewalt auf sie ein. Es wurde unerträglich laut. Sie bekam Kopfschmerzen und bald hörte sie nicht mehr jedes einzelne Gefühl, sondern nur ein einheitliches Kreischen.
"Fa molt soroll. És tan fort. Prou!", rief sie verzweifelt. Sie hielt sich die Hände an die Ohren um den Schall etwas abzudämpfen. Doch natürlich klappte es nicht.
Mit letzter Kraft beendete sie das Ganze und sackte in sich zusammen. Eine einsame Träne rollte über ihr Gesicht. Warum nur? Warum bekam sie ihre Fähigkeit nicht in den Griff? Und warum war sie bloß auf diese vollkommen beschissene Idee gekommen, sich ihrer Fähigkeit zu öffnen? Aber sie musste es tun. Sonst würde sie nie, niemals ihre Gabe unter Kontrolle bekommen und anderen Gefühle einreden, die sie in Wirklichkeit gar nicht hatten. Nicht, dass sie etwas dagegen hatte, aber sie wollte es doch schon unter Kontrolle bekommen.
Kreideweiß lehnte sie sich gegen eine Mauer. Ihr Atem ging in Stößen, die sich langsam wieder beruhigten.

Mira hüpfte ein, zweimal probeweise auf und ab, wie sie es fast jeden Morgen tat. Es war immer noch ein seltsames Gefühl auf ihrem verletzten und doch auf so wundersame Weise geheilten Fuß zu stehen.
Dann lief sie weiter und strich sich die braunen Haare hinter die Ohren. Sie war bei den Kampfplätzen angekommen. Dort saß Helizia, doch sie wirkte nicht gerade glücklich. "Alles in Ordnung?", fragte Mi, die wieder einmal vergessen hatte, dass sie nun komplett anders aussah und klang als bei ihrer ersten Begegnung. Helizia würde gar nicht wissen, wer sie war.

Helizia sah hoch. Das Mädchen kannte sie nicht, doch etwas in ihr sagte ihr, dass sie sie kannte. "Kenne ich dich?" Sie wischte sich die Träne aus dem Gesicht und sammelte ihre Sachen vom Boden auf.
Inzwischen hatten sich die Kopfschmerzen verkrümmelt und die Kraft kam auch wieder zurück.

Mi seufzte und zuckte mit den Schultern. "Das musst du wissen.", sagte sie betrübt. Sie zog ein Päckchen Papiertaschentücher aus ihrer Hosentasche und reichte sie Helizia. "Du siehst aus, als wärst du traurig.", sagte sie unsicher. Was war schon traurig? Was war schon glücklich?

Schließlich erkannte Helizia Mira am Tonfall. Sie drehte sich zu ihr um. "Mi ? Bist du das?" Erstaunt ging sie einige Schritte auf das Mädchen zu. "Jep,", meinte sie auf deren Frage. "Wenn meine Fähigkeit mir Kopfschmerzen verursacht dann ist das wohl logisch, oder"

Mi zuckte zusammen, als Liz sie kurzerhand Mi nannte. "Nenn mich nicht so.", sagte sie und einen Moment lang war ihr Gesichtsausdruck eine Grimasse aus Schmerzen. Dann fing sie sich wieder. Unruhig raschelte sie mit den großen Flügeln. "Meine Fähigkeit verursacht nur, dass ich bei anderen Menschen in Vergessenheit gerate.", sagte sie nüchtern.

Jetzt wusste Helizia auf jeden Fall, dass es Mira war. "Entschuldigung, Mira." Im Moment wollte sie nichts dringender als mit irgendjemanden zu kämpfen, doch Mira war wohl nicht die richtige Person dafür.
"Deine Fähigkeit ist es die Gestalt zu wechseln?"

"So ähnlich.", gab Mira murmelnd zu. Es war ihr fast peinlich. "Und was... was tut deine Fähigkeit.", wagte sie es zu fragen. "Außer Kopfschmerzen verursachen, meine ich." Ein paar Meter weiter stand eine Kiste in der Gegend herum. Irgendjemand musste sie dort vergessen haben. Neugierig ging Mira ein paar Schritte darauf zu.

Helizia seufzte. "Ich kann deine Gefühle spüren. Sie werden mir eingeflüstert. Hautkontakt versclimmert das Ganze noch."
Sie wartete darauf, dass Mira einen Schritt zurück gehen würde. Die wenigsten Leute kamen damit klar, dass ihre Gefühle nicht geheim waren. Eigentlich niemand.

Also würde sie sie niemals berühren. Das tat nur weh. Beiden.
Mi kniete sich vor die Kiste und versuchte sie zu öffnen, doch der Verschluss klemmte. "Dann sag du mir, was ich fühle.", sagte sie leise. Tonlos. "Ich weiß es nicht mehr."
Kido hatte es immer gewusst. Er las in ihr wie in einem offenen Buch, und doch hatte er nie versucht, eine Seite weiterzublättern. Gerade jetzt vermisste sie ihn. Schrecklich.
Du hättest mitkommen sollen... Warum nur hast du mich allein gelassen?
Er musste etwas anderes gefunden haben. Etwas, das wichtiger war als die wertlose Mi.

Helizia sah Mira erstaunt an. Sie war keinen Schritt zurück gewichen.
"Du bist", sie konzentrierte sich auf Mira und fasste sie sehr kurz an. "Du bist traurig, du fühlst dich zurückgelassen und unnütz. Du vermisst jemanden. Und du bist verzweifelt." Es tat ihr leid, das zu sagen. " Du bist nicht unnütz, Mira. Wirklich nicht. Was machst du am liebsten?" Sie versuchte das traurige Mädchen abzulenken.

Mira lächelte dünn. "Es ist nicht so, als ob dich das wirklich interessieren würde. Du hast nur Mitleid." Als sie erneut auf den Verschluss der Kiste drückte, sprang er auf. Langsam klappte sie den Deckel der Kiste hoch. "Aber das musst du nicht. Es gibt andere Leute, denen es weitaus schlechter geht." Die Kiste enthielt lauter Messer und Dolche. Neugierig beäugte Mi sie, wagte es aber nicht sie anzufassen.

Helizia seufzte. Sie wollte es einfach nicht glauben. Es interessierte sie doch.
Langsam ging sie auf die Truhe zu und sah hinein. Lauter Waffen waren darin. Ihr Kämpferherz schlug sofort höher. Vorsichtig nahm sie einen Dolch heraus und ließ ihn in der Sonne glitzern.

"Sie sind gar nicht scharf.", murmelte Mi. Sie hatte es nun doch gewagt eine Waffe in die Hand zu nehmen. Und sie konnte die Klinge berühren, ohne sich zu schneiden.
Dass Liz schwieg, bestätigte nur ihre Worte. Sie hatte es nicht wirklich wissen wollen. Wobei Mira die Lüge wirklich gerne geglaubt hätte.

"Was lässt dich glauben, dass du unnütz bist, Mira?" Es interessierte sie wahnsinnig. Sie legte den Dolch wieder vorsichtig zurück und setzte sich dann einfach auf den Boden.
Sie sah das Mädchen an und legte erwartungsvoll den Kopf schief.

Mira zuckte mit den Achseln. "Es ist einfach festzustellen. Du suchst in deinen Erinnerungen nach Leuten, die dich brauchen. Und wenn du niemanden findest..., nun dann bist du unnütz. Sozusagen überflüssig." Übervorsichtig tat sie die stumpfe Waffe zurück. "Klingen machen mir Angst.", meinte sie geistesabwesend.

"Warum machen dir Klingen Angst?", sie versuchte etwas mehr über Mira herauszufinden. Was sie wohl dazu bewegt hat, so zu denken? Nun, wenn sie es ihr erzählen wollte, dann konnte sie es gerne tun, wenn nicht dann eben nicht ...

Kein Widerspruch. Auch gut. Manchmal kam er von en Menschen, mit denen Mi offen sprach. Aber das kam ohnehin selten vor und diejenigen hatten lediglich Mitleid.
"Sie sind normalerweise scharf. Sie verletzen einen. Und sie funktionieren nur in eine Richtung..."

"Haben sie dich schon einmal verletzt?", Liz wurde leiser.
Sie selbst wurde nur einmal von einer Waffe verletzt. Das war nur ein versehen gewesen. Wenn jemand mit einer Waffe auf sie losging um sie zu verletzten dann drehte sie ihre Gabe einfach auf...

"Nein. Ja. Vielleicht." Mi zuckte mit den Achseln. "So einfach kann man das nicht sagen.", entgegnete sie und Tränen standen in ihren Augen. Sie blinzelte sie weg und fing sich wieder. Es gab keinen Grund zu weinen. Langsam und bedächtig strich sie über das Holz der Kiste. "Ich verstehe nur nicht... wenn sie doch töten können, warum holen sie dann nicht auch zurück?"

"Was ist passiert?", flüsterte Helizia. Himmel, Mira hatte schweres zu tragen. Ob sie es scho jemals jemanden gesagt hatte? Liz hoffte es, schließlich ging es danach einem immer ein wenig besser.

Irritiert sah Mira auf. "Was meinst du? Was soll passiert sein?", fragte sie. Verwirrt. Die Kiste gab ein dumpfes Geräusch von sich, als sie sie zuklappte. Der Verschluss schnappte zu. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Mira fuhr sich durch die recht kurzen braunen Haare, die sie nun besaß.

"Ich weiß nicht.", Helizia sah auf ihre angewinkelten Beine. Anscheinend hatte Mira doch keine schlechten Erfahrungen mit Waffen gemacht, oder doch? Sie konnte, trotz ihrer Fähigkeit, nicht in Mira lesen. Normalerweise war es einfach ...
Verdammt, die Waffen übten eine Anziehungskraft auf sie aus, sie wollte unbedingt kämpfen. Doch es musste auch nicht mit Waffen sein.

"Du verwirrst mich..." Mira schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können. Wovon hatten sie denn gerade überhaupt geredet? Worauf bezog sich Helizia?
Letztendlich war es gleich. Sie berührte mit ihrem Daumen die eisenbeschlagenen Kanten der Truhe. "Diese Aurora, die entführt wurde... meinst du, sie haben sie getötet?"