Sacrifice
Der Lärm eines Kampfes drang durch das dichte Blätterdach des Dschungels und stieg hinauf in den Himmel wo er ungehört verhallte. Am Boden inmitten der uralten Bäume lieferten sich eine Gruppe Leoparden einen Kampf auf Leben und Tod mit Menschen deren Hände mit Gewehren bestückt waren. In der Dunkelheit des Dschungels funkelten die smaragdgrünen Augen der Raubtiere bedrohlich. Der Angstschweiß der Menschen drang ihnen in die Nase und ließ sie triumphierend knurren. Die Hände der Bewaffneten zitterten, sie umklammerten ihre Gewehre fest. Mehr hatten sie den Leoparden nicht entgegenzusetzen. Nur pure Waffengewalt. Stählerne Kugeln die Fleisch und Knochen zerfetzten. Unendliche Schmerzen bereiteten. Aber dennoch gaben die Raubkatzen sich nicht geschlagen. Zu viel stand auf dem Spiel. In einer Höhle versteckt befanden sich ihre wertvollsten Schätze: Ihre Jungen. Niemals würden sie diese im Stich lassen.
Der Gedanke an seine Schwester war es auch, der einen jungen Leopard namens Aiden dazu brachte sich völlig zu verausgaben. Seine Klauen und Fangzähne waren bereits blutbeschmiert, seine Flanken zitterten vor Anstrengung, doch der Blick seiner grünen Raubtieraugen war ungetrübt. Seine Gegner waren in der Überzahl. Ein siegessicheres Grinsen auf dem Gesicht trieben sie den Leopard immer weiter in die Enge. Fauchend zog er die Lefzen hoch und bleckte die Zähne. Die Männer ließen sich davon nicht einschüchtern. Auch wenn um sie herum Kameraden fielen, schwer verwundet durch die Krallen der Leoparden, so würden sie doch früher oder später siegen. Da waren sie sich sicher.
Aiden kauerte sich hin, jederzeit bereit zum Sprung. Ein Klicken ließ ihn herumfahren. Ein Jäger hatte sich von hinten angeschlichen. Die Mündung des Gewehrs war direkt auf ihn gerichtet. Wie in Zeitlupe sah er wie sich der Finger um den Abzug schloss und abdrückte. Vor ihm eine Bewegung, ein Schatten. Ein Schuss gellte durch den Dschungel. Doch die brennenden Schmerzen einer Kugel, die sich in seinen Leib bohrte, blieben aus.
Stattdessen blickten seine entsetzt geweiteten Augen auf den zuckenden Körper seiner kleinen Schwester. Aylin. Die Kugel hatte sich direkt in ihre Seite gebohrt, den Brustkorb durchschlagen und war in ihr Herz eingedrungen. Ihre großen grünen Augen, die den seinen so ähnlich waren, öffneten sich und blickten ihn an. In ihrem Blick lag so unendlich viel Liebe, dass es ihm beinahe das Herz zeriss. Ihre Atemzüge wurden flacher, kamen in immer größeren Abständen. Aus ihrer Seite lief das Blut in Strömen herab, durchtränkte ihr Fell und färbte den Boden rot. Ein letztes Luftholen. Stille.
Einen Augenblick lang war Aiden wie erstarrt. Dann hob er den Kopf zum Himmel und stieß ein wildes schmerzerfülltes Brüllen aus, das selbst die Jäger erschauern ließ. Wut, unbändige Wut lag in seinem Blick als er die Jäger fixierte. Ein Knurren drang aus seiner Kehle. Seine Klauen hoben sich, das Maul weit aufgerissen, bereit zu töten.
Was folgte war ein Gemetzel. Immer und immer wieder gruben sich seine Fangzähne in Körper, zerissen seine Klauen Fleisch. In seinem Wahnsinn gefangen nahm er nichts um sich herum wahr, nichts als den brennenden Schmerz in seinem Herzen. Die Wunden die in seinem Fell klafften waren unwichtig, alles was er fühlte war das unendlich große Loch in seiner Brust. Aylin war fort. Für immer.
Sie kam nicht zurück. Nie wieder würde sie ihm freudig entgegen rennen wenn er von der Jagd heimkehrte. Nie wieder würde sie ihn spielerisch angreifen, ihre winzigen Klauen in sein Fell graben. Nie wieder würde er sie ausschimpfen für die Dummheiten die sie beging. Dies hier war ihre letzte Dummheit gewesen. Und er konnte sie nicht dafür bestrafen. Nur sich selbst. Er hatte nicht aufgepasst. Es war seine Schuld. Sie hatte sich für ihn geopfert. Alles war seine Schuld.
Aiden bemerkte nicht dass der Kampf zu Ende war. Er spürte nicht die mitleidigen Blicke der anderen. Sah nicht das Blut, in dem er stand, das den Boden durchtränkte und sein Fell blutrot färbte. Es war unwichtig. Regen setzte ein, die glitzernden Tropfen von so fragiler Schönheit spülten alles davon. Verschwunden und vergessen.
Doch ihm war diese Gnade nicht gegönnt. Er würde sich immer erinnern. Jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde. An den Augenblick der sein Leben zerstörte, ihm das Wichtigste nahm was er besaß. Und ihn für immer unvollständig zurückließ.